Die Ärtzte haben mich schon totgesagt

Stefan Szenoner

Salto, Wien, Nr. 29/92, July 07, 1992


Nach jahrelanger, durch seine Krankheit bedingte Pause, geht Frank Zappa im Herbst wieder auf eine Europatournee. Er dirigiert seine neuesten Kompositionen moderner Kammermusik in Frankfurt, Berlin und Wien gespielt vom "Ensemble Modern". Exklusiv für Salto: Frank Zappa im Interview mit Stefan Szenoner über sein Konzert, seine Krebserkrankung und den Präsidentschaftswahlkampf.

Sie planen im Herbst '92 eine Europatournee?

Es ist keine richtige Tournee, wir werden im September in drei Städten konzertieren, zuerst in Frankfurt, im Rahmen des Festivals in der Alten Oper, dann in der Berliner Philharmonie und zuletzt im Konzerthaus in Wien.

Und welche Musik?

Kammermusik für zirka 25 Instrumente, die für das "Ensemble Modern" geschrieben wurde.

Wer sind die Musiker?

Die meisten Musiker des Ensembles sind aus Deutschland, aber es ist auch ein Amerikaner, ein Australier, ein Engländer sowie ein Schweizer und ein Franzose mit von der Partie.

Werden Sie auch beim Grazer Herbst konzertieren?

Das geht aus Termingründen nicht. Das Ensemble gibt 100 Konzerte pro Jahr und gastiert Anfang September in Argentinien, Termine, die schon lange vor meinem Projekt feststanden.

Seit Bekanntwerden Ihrer Krebserkrankung stellen viele Ihrer Anhänger immer wieder die Frage nach Ihrer Gesundheit. Wie geht es Ihnen wirklich?

Manche Tage gut, dann wieder schlecht.

Es gibt Gerüchte, dass Sie von einem Naturheiler behandelt werden und die Chemotherapie abgelehnt haben?

Ja, das stimmt. Als ich erstmals erfuhr, dass ich Krebs habe, kam ich mit einem Heiler aus Sri Lanka in Kontakt, der mir jedoch nicht helfen konnte. Es war eher eine unerfreuliche Erfahrung. Ich werde von Dean Kraft, einem amerikanischen Naturheiler, behandelt, ohne jede Medikamente. Es ist die alte Methode des Handauflegens und basiert auf Energieübertragung und Elektrizität.

Und das hilft Ihnen?

Ja, ich glaube daran, und daher hilft es mir. Wenn es nach den Ärzten ginge, wäre ich bereits tot.

Naturheiler, Chiropraktiker und Homöopathen werden von den klassischen Medizinern Amerikas abgelehnt, bekämpft und nicht ernstgenommen.

Weil sie nichts davon verstehen. Der wirkliche Grund für diese Ablehnung liegt darin, dass die ärzte schlechter aussehen, wenn es funktioniert. Als die nach einigen Fehldiagnosen endlich feststellten, was ich hatte, war der Krebs so weit fortgeschritten, dass er inoperabel war. Chemotherapie gibt es für diese Art von Krebs nicht. Ich hatte einige Radiumbestrahlungen, die jedoch so schmerzhaft und entsetzlich waren, dass ich sie unterbrach. Die ärzte gaben mir noch sechs Monate, das war vor zwei Jahren.

Es geht Ihnen offensichtlich besser als bei unserem letzten Zusammentreffen, während des Golfkrieges. Viele Ihrer Prognosen von damals sind Wirklichkeit geworden. Was sagen Sie zur gegenwärtigen Situation Amerikas, und was sind Ihre Prognosen für die Zukunft?

Ich glaube, die Dinge werden sich kaum in absehbarer Zeit verbessern, wenn überhaupt. Als sich der demokratische Prozess in Amerika entwickelte, war in diesem Traum das Fernsehen oder moderne Kommunikation nicht einkalkuliert, und es waren auch keine ethnischen Unterschiede vorstellbar. Dieses Land und seine Verfassung wurden ausschliesslich zum Vorteil der reichen Weissen gegründet. Als die Verfassung modifiziert wurde, um den ethnischen Minoritäten mehr Rechte zu geben, öffnete sich ein Fass ohne Boden, mit dem die Designer dieses Prozesses nicht gerechnet hatten. Die Regierung, die wir jetzt haben, ist nichts anderes als das Spiegelbild einer verblödeten Bevölkerung, welche ein Opfer der Fernsehwerbung und seiner Programmgestaltung wurde, das ihnen an Stelle von Fakten Illusionen verkauft. Die Qualifikation der Personen, die sich heute um gesetzgebende Funktionen bewerben, sind dementsprechend unzulänglich. Sie sind "wirklich" Repräsentanten des Volkes. Dies zeigt, wie perfekt Demokratie sein kann. Der Kongress besteht heute aus Rechtsanwälten und Gebrauchtwagenverkäufern, die nichts zum Wohl der Bevölkerung beitragen und ihre Posten nur aus egoistischen Prestigegründen bekleiden.

Wie war Ihre Reaktion auf das "Rodney King"-Urteil?

Ich war in keiner Weise überrascht, als ich hörte, dass der Prozess nach Simi Valley delegiert wurde. Damit stand das Urteil fest. Jeder muhte wissen, dass es in Simi Valley, einer Kleinstadt, in der "Rednecks" und pensionierte weisse Polizisten leben, zu diesem Urteil kommen wird. Das gesamte Verfahren war äusserst suspekt, nachdem der Ankläger dieser Verlegung des Gerichtsstandes zustimmte. Eine Woche vor den Tumulten gab dann auch noch der Polizeichef Deryl Gates bekannt, er hätte einen "Tod"-sicheren Plan, im Falle, dass irgend etwas schiefgehen sollte. Es war doch allen klar, was im Falle eines Fehlurteiles passieren würde.

Ich hatte das Gefühl, die Regierung wollte diese Unruhen und provozierte sie mit Absicht?

Das glaube ich auch, aber ich bin noch zynischer und behaupte, dass viele der 5000 Feuer Versicherungsfeuer waren, wie die Helikopteraufnahmen zeigen. Wenn man einen Molotowcocktail wirft, brennen die Häuser doch nicht von der Mitte aus ab. Für mich ist klar, dass die Feuer nicht alleine von den Schwarzen aus Ost-Los Angeles gelegt wurden. Das Ganze war eine "Versicherungs-Bonanza", bei der hunderte vor dem Konkurs stehende Betriebsinhaber ihre Geschäfte in Flammen aufgehen liessen, um nachher satte Versicherungssummen zu kassieren. Das Unglaublichste war, dass genau bei Ausbruch der Unruhen Deryl Gates das Polizeihauptquartier verliess, um bei einem Dinner Spenden für seinen Wahlkampf zum Bürgermeister zu sammeln. Und niemand sagte, "stellt diesen Verbrecher an die Wand"! Es ist unfassbar.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten war es erschütternd, "live" Mütter mit ihren Kindern beim Plündern von Windeln zu beobachten. Wurden die Menschen dadurch nicht noch mehr zum Plündern angestiftet?

Symbolisch für die Plünderungen war die Aussage einer Frau in einem der Interviews, die sagte: "Today is a free day" (heute ist alles frei). Die "Riots" widerspiegeln auch den unglaublichen Rassismus Amerikas, nicht nur gegen die Schwarzen.

Haben die Tumulte in Los Angeles das ohnehin schon schlechte Image Amerikas noch weiter erhöht?

Vor einigen Monaten konnte man noch sagen, dass alles Negative, Schlechte und Teuflische von den Regierenden in Washingbn kommt. Man soll aber nicht eine ganze Bevölkerung für das, was die in Washington verbrechen, verantwortlich machen. Das wäre nicht sehr fair. Wenn man sich jedoch die Plünderung von Los Angeles ansieht, mit so vielen Beteiligten aller Hautfarben, fragt ban sich: "Vielleicht sind doch alle Amis fucked?"

Trotz der deutlichen Unzufriedenheit der Leute über die Zustände in Amerika sind nur 42 Prozent der Wähler zu den Vorwahlen in Kalifornien gegangen?

Weisst Du warum? Weil der populärste ndidat in Kalifornien Ross Perot ist und im Fernsehen einen Tag vor der Wahl eine Meldung bekannt gegeben wurde, dass die Wahlzettel mit dem Namen Perot vernichtet würden. Am Tag darauf wurde diese Meldung revidiert und berichtet, dass die Wahlzettel zehn Tage zurückgehalten würden. Dieser Umstand hat viele Wähler von den Wahlurnen ferngehalten.

Was halten Sie von Ross Perot?

Am Anfang seiner Kampagne hatte ich einen positiven Eindruck. Je mehr ich jedoch über ihn erfahre, desto mehr stellt sich heraus, dass er ein extremer Rechter ist. So sehr ich die Idee begrüsse, dass er das Zweiparteiensystem in den USA angreift und grosse Chancen hat, gewählt zu werden, glaube ich, dass er als Präsident eine grosse Gefahr bedeutet. Seine letzten Statements, zum Beispiel die Geschichte, keine Homosexuellen und Ehebrecher im "Weissen Haus" zu gestatten; wie will er das kontrollieren? OK, wenn einer kommt und sagt, er ist homosexuell, ist das einfach, aber will er spezielle Schwadronen ausschicken, die mit Vergrösserungsgläsern die Unterhosen der Leute inspizieren, um herauszufinden, ob sie Ehebrecher sind?! Diese Aussagen zeugen nicht von grosser Regierungsfähigkeit. Dann seine Vietnam-Story, oder der Bau des Flugplatzes, den er mit Steuergeldern in Texas bauen will, um damit eine Milliarde Dollar zu verdienen. Er ist einfach ein brutaler Geschäftsmann. Eine seiner Firmen war Texas Instruments. Vor acht oder zehn Jahren gab es einen riesigen Skandal über einen enormen Auftrag zur Lieferung von Microchips für Lenkvorrichtungen von Raketen. Diese Chips waren alle defekt und unverwertbar. Dass ihm daraus keine Probleme erwuchsen, hatte er Richard Nixon zu verdanken, der ihn vor Konsequenzen bewahrte. Kürzlich wurde auch bekannt, dass er Probleme mit der Steuerbehörde hatte, bei der auch wieder Nixon intervenierte.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Nachrichten total zensuriert und getrickt sind?

Das sind sie auch, sie sind komplett gelinkt. Man kann sich jedoch aus den vielen verschiedenen, unterschiedlichen Nachrichten der einzelnen Networks die ungefähre Wahrheit herausfiltern.

Aber das können nur Sie und einige wenige, die Majorität glaubt doch den Mist, den man uns allen vorsetzt.

Die verantwortungslosesten News verbreitet mit Sicherheit CNN. Es ist der am meisten beängstigende Aspekt moderner Kommunikation, weil diese Meldungen nonstop weltweit publiziert werden. CNN ist das Propagandawerkzeug der republikanischen Partei Amerikas, und Menschen ausserhalb der USA, die glauben, was CNN berichtet, werden täglich belogen.

Glauben Sie nicht, dass jeder andere besser wäre, als noch einmal George Bush?

(Frank Zappa lacht) Seit ich Bill Clinton bei Arsenio Hall (TV-Show) Saxophon spielen sah, wirkt er besser auf mich.

Ist Bill Clinton nicht nur ein anderer Bush?

Well, niemand kann schlechter sein als Bush. Was mich an Clinton am meisten stört, ist seine Frau. Die Idee, einen Mann zu wählen, dessen Frau möglicherweise als Co-Präsident ins Weisse Haus einzieht, ist für mich rechtlich anstössig. Ausserdem ist sie das Hirn der ganzen Clinton-Kampagne. Es ist eine Nancy-Reagan-Situation. Alles, was er sagt, ist weichlich, nicht praktizierbar und nicht sehr clever – und dann die Besuche weisser Politiker in schwarzen Kirchen, total pathetisch.

Die Armut in diesem reichen Land erinnert mich an die Nachkriegszeit in Europa, wie glauben Sie wird sich Amerika erfangen?

Es ist Nachkriegszeit, es ist die Zeit nach dem kalten Krieg. Das ganze Geld wurde für Waffensysteme ausgegeben, die nie verwendbar wurden, und das ist das Resultat.

Jetzt kommen langsam die wirklichen Zahlen der getöteten Zivilisten im Irak-Krieg heraus, was sagen Sie dazu?

Alles, was man im CNN über die intelligente Bombe und die "Patriot Missiles" gesehen hat, war nichts anderes als Verkaufswerbung, um nach dem Krieg mehr Waffen im Ausland verkaufen zu können.

Wer, glauben Sie, wird der nächste Präsident Amerikas sein?

Der Hass der Wähler gegen die traditionellen Politiker ist so gross, dass Perot gute Chance hat. Ich habe Leute sagen gehört: "Egal ob er Hitler ist, ich hasse die anderen zwei so sehr, dass mir alles gleichgültig ist. Und das ist ziemlich gefährlich. Die einzige Chance, die dieses Land hat, ist die Hoffnung, dass sich Perot im Falle eines Wahlsieges als guter Typ und nicht als Bastard entpuppt. Bush ist eine wandelnde Fiktion mit zu vielen Leichen im Koffer, und wer weiss, was Mr. und Mss. Clinton diesem Land antun könnten; er würde vielleicht irgendwo Saxophon spielen, während sie die Bombardierung Jugoslawiens anordnet...

Die neueste Statistik besagt, dass 1,2 Millionen Menschen im Gefängnis sitzen?

Das ist viel zu nieder. Wenn es nach den Republikanern ginge, müssten noch mehr Leute eingesperrt werden, und da stimme ich mit ihnen überein, 20 Prozent ihrer Parteimitglieder gehören ins Gefängnis! Und ich glaube, da bin ich noch tolerant.

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