Win A M.O.I. Dream Date

By Walter "Juz call me Cloudie" Hartmann

Der Metzger, February, 1975


AIRPORT FRANKFURT/MAIN 12.9.1974

Lautsprecherdurchsage "Attention please announcing landing of flight LH 253 from Vienna" und ich laufe rüber zum Gate B-5. Gedränge hinter der Barriere, man kennt die Szenerie. Schiebe mich nach vorn, jedesmal neugierige Blicke hinüber zur Zollkontrolle wenn sich für einen kurzen Moment die Schwingtür am Ausgang öffnet.

Irgendwann das unverwechselbare Signal von Franks Zapata/Imperial Schmäuzer zwischen den Passagieren am Customs Counter & jetzt taucht auch Urban hinter ihm auf.

Frank der als erster herauskommt, elegante Erscheinung, die pechschwarzen Locken zu einem kunstvollen Knoten gebunden, er verschwindet in Richtung Ausgang wo draussen irgendwo der Bus wartet. Dann Urban & draussen am Bus Handshake mit Frank. Schnell eine Tasse Kaffee mit Urban im Restaurant während Mothers & Reisebegleiter nach und nach ankommen & ihr Gepäck im Bus verstauen. Urbans Story: traf sich mit denen vor zwei Tagen in Wien & reist als privater Tournee-begleiter Franks mit auf der Route Wien-Frankfurt-Berlin-Hamburg. Hat mich für Frankfurt als Fotograf engagiert & hier bin ich mit meiner billigen alten Kamera, dem handlichen Sony-recorder & einer Tasche randvoll mit Filmen & Cassettentapes.

RI-RA-RAZ

Urban ist schon seit sieben, acht Jahren dabei. Man kennt seinen Namen hier von HOTCHA, der besten Untergrundzeitung des Kontinents, die von der ersten Nummer an (damals im März '68 als einfaches Faltblatt in 150er Auflage) mit jeder neuen Ausgabe zunahm an creativer Raffinesse & stets den andern, soweit's überhaupt vergleichbares gab, weit voraus war an Inhalt & Form – und deren Erscheinen er 1971 (mit der Nr.57 , einem 30-Seiten-Feuerwerk, Auflage 5000) einstellte: "Ich mag Änderungen. HOTCHA hat den Start gemacht & einige Kicks gegeben – jetzt macht selber weiter: Fun Embryo ist überall."

Übrigens: der Name HOTCHA war von Zappa inspiriert. Und schon seit Mitte der sechziger Jahre sammelt Urban alles was mit Zappa & den Mothers zusammenhängt ... Schallplatten, Clippings aus straighter Presse & Untergrundblättern, Photos, Tapes, Curiosa ... alles vereinigt im Züricher ZARK (kurz für: ZAPPARCHIVES, das vollständigste auf der Welt – ausser vielleicht Franks eigenem in Los Angeles) ... die Kästen mit der Fotosammlung, Schrank voller Scrapbooks mit Zeitungs-ausschnitten chronologisch & interkontinental. Und da hinten in einer anderen Ecke des Züricher Zapparchivs das ausgeglühte Metallskelett der Tastatur von Don Prestons Mini-Moog, das einzige Uberbleibsel vom Brand damals als die Mothers im Casino von Montreux spielten ... und hier das Tape CLICK die letzte Nummer der Mothers ... Musik bricht ab, Stille ... Franks Stimme: "FIRE!" ... Stuhlrücken, Unruhe im Publikum, man bewegt sich zum Ausgang, die Aufnahme bricht ab.

Zum 1.April 1973 startet Urban HOT RAZ TIMES, creativer Almanach, gewidmet dem kosmischen mutanten Gelächter, erscheint in den regelmässigen Zeitabschnitten des eigens dafür aufgestellten ZALENDERS. Wahrhaftig ein echter Aufsteller. Ist für Zappa-Interessierte unentbehrlich, in jeder Ausgabe einige Kostbarkeiten aus dem unerschöpflichen Zapparchiv ... und was sich sonst noch so findet an internationalen Verrücktheiten (Lasst euch überraschen ... falls jemand abonnieren will: Urban Gwerder, ZARK, Box 2468, CH-8023 Zürich, Switzerland). Grad bevor er auf Tour ging hat er die neunte Nummer herausgebracht.

Alright ... langsam wird's Zeit, der letzte Schluck Kaffee & zurück zum Bus. Fahrt in die Innenstadt ... belebte Strassen um die Mittagszeit ... monotones Summen des Motorgeräuschs & dazwischen Gesprächsfetzen der Mothers, haben sich im geräumigen Bus verteilt, scherzen miteinander, relaxte Atmosphöre ... bekannte Gesichter ... Frank Zappa, Master of Intergalactick Absurdities ... George Duke, keyboards & cocktail ... Ruth Underwood-Komanoff, vibes, electric percussion & First Lady ... Tom Fowler, bass & big cigar ... Napoleon Murphy Brock, sax, vocals & laughing jags ... Chester Thompson, drums & drums & sweatsoaked towels.

Und ein paar Gesichter die man selten auf den Fotos sieht, aber grad die Leute die die Tour am Laufen halten ... der clevere Road-Manager Marty Perellis (aber halt, das ist doch ein bekanntes Gesicht: er sitzt inmitten der surrealen Szenerie eines HOLIDAY INN Hotelzimmers auf dem Cover von OVERNITE SENSATION) ... Marty, der alle Termine im Kopf hat & dafür sorgt dass sie auch eingehalte werden. Und irgendwo in den vorderen Sitzreihen auch Herbie Cohen (auch er auf OVERNITE SENSATION: das 'Bullet' auf der Rückseite), Mothers-Manager seit FREAK OUT-Zeiten, einst Chef der Plattenfirma STRAIGHT/BIZARRE, jetzt President des DISCREET Labels. Soll unbestätigten Gerüchten zufolge anfangs der sechziger Jahre als Waffenhändler im Kongo aktiv gewesen sein, fest steht jedenfalls: er ist der geborene Businessman & schon in der ganzen Welt herumgekommen.

PARKHOTEL

Marty der die Check-In-Formalitäten an der Rezeption erledigt während vier oder fünf Pagen voll beschäftigt sind das im Foyer aufgestapelte Mothers-Gepäck hinaufzubringen in die einzelnen Zimmer auf der zweiten Etage. Automatische Rolltreppe & der lautlose Lift nach oben, das gewohnte Interieur feinerer Hotels.

Menu à la Carte im reservierten Séparée. Langer Tisch an dem die gesamte Mothers-Truppe (immerhin an die siebzehn Leute) Platz gehabt hätte. Oben am jenseitigen Tischende Frank im Gespräch mit einem Dirigenten aus München. Rechts davon der Mann der vom Kinney Promo Dept kommt. Mother Chester. Und hier in unserer Ecke die Mothers George & Urbu, eben kommt noch Napoleon hereingeschlendert & setzt sich zu uns. Lockere Unterhaltung & Kellner die sich hinter den Stuhlreihen herumdrücken & Bestellungen notieren. Frank hat ein paar Testpressungen von ROXY & ELSEWHERE dabei & sie verden herumgereicht. Kaffee & Züricher Geschnetzeltes, Zitronencreme & Inside Jokes; manches was sich wiederfindet in Tomorrow's Doodoo & das andere im nächsten RAZ. Oder schon heute abend im Konzert...

Für drei Uhr hat Marty den Bus bestellt der uns hinüberbringt nach Hoechst zur Jahrhunderthalle. Sonniger Septembernachmittag & man sieht schon jetzt ein paar Langhaarige im Grünen vor der Halle als der Bus in die Einfahrt zum Bühneneingang kurvt. Draussen auf der Rampe sitzen die Helfer die zum Aufbau der Anlage engagiert worden sind, & warten auf den Transporter mit dem zwei von den Mothers-Roadies die acht Tonne Equipment quer durch Europa kutschieren.

Kommandos der Bühnenarbeiter die widerhallen in der Weite des leeren Konzertsaals. Frank läuft hinüber zum Bühnenrand, breitet seinen langen Mantel aus & setzt sich drauf. Elektriker verlegen Stromanschlüsse & testen die Bühnenbeleuchtung.

Dauert noch einige Zeit bis endlich der Sattelschlepper an der Rampe steht & Stück für Stück verden die Transportkisten & die gewaltigen Tycobrahe Boxen & Hörne hereingeschoben. Im Nu ist Leben auf der Bühne, Kabelrollen werden aufgespult & inmitten der kribbeligen Betriebsamkeit die Chefroadies Dick Barber & Kansas die die Übersicht behalten & jedes Teil an seinen Platz dirigieren. Chesters Drum Kit wird verschraubt, die Mikrofone werden montiert. George Duke nimmt gleich Platz hinterm Synthesizer nachdem er in die richtige Position geschoben wurde mit Elektroklavier, Hammond-orgel & Konzertflügel. Das Gewirr von Kabeln auf dem Boden wird dichter. Ruths Vibraphon Marimba Kessel-pauken Tympani & noch mehr Kabel & Klebeband. In der Garderobe verarzten Dick Barber & Marty Perellis eine der Roadies der sich die Hand gequetscht hat zwischen den schweren Lautsprecherboxen.

Und auf einmal ist das Publikum im Saal. Irgendjemand von den Veranstaltern entschuldigt sich für die Verspätung. Frank sitzt am Bühnenrand, den Gitarrenclip zwischen den Zähnen, und gibt Autogramme.

SOUNDCHECK

Frank erscheint an Mikrofon & macht dem Publikum klar dass sie durch die Verspätung des Transporters mit dem Equipment erst jetzt dazu kommen, die Anlage einzustimmen. "Geduldet euch noch eine Weile damit wir die Anlage richtig testen können & ihr ein gutes Konzert zu hören kriegt. Wir machen das sonst nachmittag vor der Show & brauchen dann gewöhnlich drei Stunden dazu. Ihr habt jetzt Gelegenheit das in allen Einzelheiten mitzuerleben."

Nach & nach wird jedes Element des komplizierten technischen Apparats auf der Bühne abgecheckt mit dem Toningenieur, der das monströse Mischpult bedient das sie im Publikum aufgebaut haben. Und Brian der Soundmixer hat alle Hände voll zu tun auf den zwei, drei Quadratmetern Knöpfen, Schaltern & blinkenden Lämpchen. Neben der Kontrolle der aufs Publikum gerichteten Lautsprecheranlage muss er auch den Sound ausbalancieren für die Monitoren auf der Bühne (durch die die Musiker ihr Spiel mithören), dabei läuft noch ein Stereo Tape Deck für Cassetten mit (damit sie gleich bei der höchsten Gelegenheit im Hotel oder im Flugzeug sich anhören können was sie im Konzert geleistet haben) und ein 16-spuriges Studio-Tonbandgerät, falls sich interessantes Live Material ergibt das auf einem späteren
Album verwendet werden könnte.

Die Anschlüsse der Mikrofone, die Verstärker, jedes Instrument wird einzeln & im Zusammenspiel getestet. Franks Dialog mit den Tontechniker ist über das PA-System mitzuhören ... "So Brian are you ready now for Chester's Kick? Hey Ladies & Gentlemen! Chester's Kick!" – Stille, irgendwas klappt nicht mit dem Schlagzeugverstärker. "Now let's move along to George" & Duke tippt ein paar Akkorde an auf dem Electric Piano, "You receiving him?", Brian hinten am Mischpult schüttelt den Kopf. "Not receiving George."

Brian checkt die Schalttafel & Frank hat Zeit ein paar Zwischenrufe aus dem Publikum zu kommentieren ... und jetzt klappts mit dem Schlagzeug: Chester's Kick! Dumpfes Dröhnen beider Basstrommeln, und Frank zum Publikum: "Almost enough to drive you into our frenzy ... and now, Chester's snare", ein paar schnelle Wirbel, "Alright".

Und nach einer knappen halben Stunde Soundcheck, zur Kabine der Beleuchter am anderen Ende der Halle: "Ich glaub ihr könnt jetzt die Saalbeleuchtung abschalten damit wir hier mit unsrer Show anfangen können." Applaus.

ON WITH THE SHOW

Frank stellt die Band vor, während sie in ein improvisiertes kurzes Vorspiel einsteigen dessen Textansätze sich grad zufällig nachmittags beim Essen im Hotel ergeben haben ... der erste Song ist Stinkfoot (vom Album APOSTROPHE), dabei geht es, nach Zappa, um ein Phönomen das tief an den American Way Of Life heranreicht, Richard Nixon leidet darunter & auch die Mothers haben ab & zu damit zu tun: Füsse die schlecht riechen. Und dann gehts leger über zu Inca Roads, ein von Däniken-Theorien inspiriertcs Stück "about the delicate subject of flying saucers in our atmosphere". Hat viel Sprechgesang dabei der ständig das Tempo wechselt, was George Duke allerhand Konzentration abverlangt. Zappa übernimmt wieder den Gesang bei Cozmik Debris. Eine Satire auf die Guru-Kommerzwelle, speziell zugeschnitten auf den kleinen 15jährigen Fettsack Maharatschi (wie heisst der doch gleich?) Teigseckel, der wie mir Urban exzählt in wirklichkeit heavy business Schmuck- & Uhrenschmuggler ist. Macht sich ein gutes Leben von den Moneten um die er seine Anhänger erleichtert, dicke Autos, eigener Jet und so. In Zappas Story kommt der Guru an & will Frank, gegen ein entsprechendes Honorar versteht sich, ein garantiertes Nirvana aufschwatzen. Frank lässt ihn auf die gewohnt lässige Art abblitzen: "Verschwend nicht deine Zeit auf mich, mein Lieber ... und überhaupt, ist dein Poncho da ein richtiger Poncho oder nur ein Neckermann-Poncho....?" Wer sich für die feinen Details der Story interessiert soll mal reinhören auf APOSTROPHE.

"Ähnlich wie mit Zappas Musik ist's mit seiner Sprache: im Vergleich mit seinen Texten scheint es wirklich als seien die meisten zeitgenössischen Dichter hinter dem Mond – sorry folks, aber so ist's, zumindest in Sachen Einfälle, und wie diese dann erfinderisch gehandhabt werden & erst recht (trotzdem) Spass machen, weiss ich in der gegenwärtigen Literatur nichts vergleichbares", sagt Urban, und recht hat er.

Ein typisches Beispiel dafür ist der Song Montana. "Eines Tages stand ich auf, schaute mir eine Schachtel mit Zahnseide an, und sagte 'hmmm'. In der Annahme, dass niemand zuvor sowas getan hatte, fühlte ich, dass es meine Aufgabe als Beobachter von Seidenfäden war, meine Beziehung zu der Packung darzustellen. So ging ich nach unten, setzte mich an die Schreibmaschine & schrieb einen Song darüber. Ich bin nie in Montana gewesen, aber ich weiss, dass es im ganzen Staat nur etwa 450.000 Einwohner hat. Da kann man doch eine Menge Sachen loslassen, da hat's einen Haufen Platz für die Produktion von Zahnseide ... und die Idee, an der leeren Wüste entlang zu reiten auf einem sehr kleinen Pferd und mit einer riesigen Pinzette die Zahnseidensprösslinge aus den Büschen zu rupfen ... sie mit der riesigen Pinzette zu grabschen & dann den ganzen Weg zurück zur Baracke zu schleppen ... das fand ich eine gute Vorstellung." So erzählte es Zappa in einem Interview mit Bruce Pollock. *)

Nun als die Mothers im Frankfurter Konzert den Song spielten, änderte Frank MONTANA kurzerhand in FRANKFURT, was sich auswuchs zu einem Seitenhieb auf die zahlreichen in Frankfurt stationierten GIs im Konzertpublikum.

"I mite be stationed here in Frankfurt soon, just to raise me up a crop of Dental Floss.

Im Originaltext (siehe OVERNITE SENSATION) wird der 'Dental Floss Tycoon' irgendwann zum 'Mennil Toss Flykune'.

Zappa weiter zu seiner Arbeitsweise: "Manchmal zeige ich die Texte meiner Frau, oder ich lasse sie mir nach einer Weile von ihr vorlesen, damit ich sehe wie das tönt – weil Teile meiner Texte sowohl phonetisch, als auch den Informationsgehalt betreffend gestaltet sind. Ich ändere die Texte eigentlich ständig. Viele werden zufällig abgeändert. Irgendwer liest sie falsch, und das klingt manchmal so komisch, dass ich dann die Fehler grad drinlasse." **)

Und im Konzert erlaubt sich Frank einmal detailliert darauf einzugehen, während die Mothers im Hintergrund den Montana-Rhythmus halten: "You know, a lot of people have wondered what exactly is a Mennil Toss Flykune & I can only say that if a person had to move to Frankfurt to work for the government in the army & if he were stationed here long enough & if his mind & his body were tortured by the terrible ... well whatever it is you must have to go through in this part of the world, that would be sufficient to convert an average person into a Mennil Tass Flykune ... and I dedicate the rest of this song to every Mennil Toss Flykune in this audience, take it away" sprichts, greift in die Saiten & steigt gleich wieder in den Rhythmus ein eh die GIs noch recht begriffen haben was lief.

Ein Zappa-Konzert ist voll solcher schneller Spontan-Spässe & es sind in der Regel zuviele, wollte man sie alle aufzühlen.

Ist ein echter Showman, der Kerl. Steigt auf die Bühne & ist da. Und er weiss wie er zu denen da draussen zu reden hat. Sogar in der Frankfurter Rundschau ist's zwei Tage später im Feuilleton zu lesen: "Eine für die Rockmusik fast beispiellose szenische Dramaturgie in
Text-Musik-Montagen zu inszenieren, die Versinnbildlichung und Fortführung der Textthematik in musikalischem Ausdruck, etwa die Abfolge von fragender Textzeile und kommentierender jingleähnlicher Instrumentalantwort, und das alles versetzt & zersetzt talantwort, und das alles versetzt mit & zersetzt von Spott, Sarkasmus, Ironie & unbündigem Spass."

"Instant Art eines echten Environment-Künstlers",sagt Urban. Nuff said.

Und als Zugabe gibts Camarillo Brillo. "This song is definitely not weird," erklärt Frank dazu, "It's a regular song." Huh? Rolling Stone klassifizierte es damals im Review von OVERNITE SENSATION als "Machismo Rock im Henry Miller Stil" wenn ich mich recht erinnere ...

DRESSING ROOM

Ein grad dabei auf die Bühne zu klettern als mir Dick Barber entgegenkommt, will mich zurückschieben – bis er mich erkennt, "Ho! Cloudie! Come On ..." & er zieht mich hinauf. Hinter der Bühne führen ein paar Treppenstufen in einen Raum wo alle möglichen Leute herumstehen, wuchtiger Coca-Cola-Automat in der Ecke, kaltes Neonlicht. An einem Polizisten vorbei in die Garderobe, rechts an der Tür ein Pappschild "Mr. Zappa".

Drinnen sitzt Frank mit der Gitarre auf dem Schoss & gibt ein Interview. Es ist ein junger Typ der unkonzentrierte Fragen stellt & es kommt nicht viel raus dabei. Luftballons auf dem Boden & Spiegel ringsum an den Wänden. Frank greift wieder zur Gitarre & wir verlassen leise den Raum. Ich habe noch einiges zu erledigen & wie ich wieder herauskomme ist schon das Publikum im Saal. Höre das zweite Konzert beginnt jetzt mit zwei Stunden Verspätung & die Leute sind dementsprechend hektisch. Bin mitten im Gedränge als das Licht verlöscht & setze mich auf den Boden irgendwo eine schmale Lücke zwischen den Stuhlreihen. Spotlight auf die Bühne & ich schiebe eine neue Cassette in den Sony.

"ONCE AGAIN YOUR SIX CLOSEST RELATIVES: THE MOTHERS!"

Yessir, das zweite Konzert heut abend ist zweifellos die beste Mothers-Show die ich je erlebte ... "The weirdest bunch so far" hat Frank einmal über die derzeitige Mothers-Formation gesagt, und wahrhaftig: mehr noch als bei früheren Mothers ist hier jeder ein absoluter Könner auf seinem Gebiet, von Zappa zum perfekten Zusammenspiel trainiert – und jedem bleibt sein individueller creativer Freiraum. Und was Frank als wesentliches Kriterium ansieht bei der Auswahl seiner Mothers: Humor. "Because if ya don't have a sense of humor ya
can't play the music correctly. No matter how many of the right notes ya hit, yo still can't play correctly." Bullshit, das Geschwätz das man manchmal hört über Franks angeblichen Egotrip: er ist eben ein Mensch der in seinem Medium ernsthaft arbeitet & dem schon daher an einer bewussten Kontrolle über sein Werk gelegen sein muss – ein Künstler mit unbändigen Ideen & Energien die man ihn am besten auch selbst koordinieren lässt.

"Ich halte die Kunst des Komponierens für Time-Painting", sagte er einmal in einem Interview mit Miles, "man wird von den Zuhörern beauftragt einen Zeitabschnitt für sie zu gestalten. Auf die gleiche Art wie ein Maler ein Stück Leinwand nimmt und's dadrauf bannen muss, so habe ich die Gelegenheit ein Stück Zeit zu nehmen & da kleine Dinge hineinzustecken. In einem Live-Konzert arbeite ich da mit seh- und hörbarem Material."

So wird das Programm lebendig & zum Musiktheater. In dem was sich auf der Bühne abspielt fliesst vieles zusammen: momentane Stimmung & Creativität jedes einzelnen Bandmitglieds, Reaktionen des Publikums, und etliches von dem was sich so nebenher ereignet auf einer Mothers-Tournee ... alles wird bewusst verarbeitet.

Jetzt haben sie beispielsweise die ROOM SERVICE Nummer im Programm, ein Dialog zwischen Zappa & dem Leadsänger Napoleon Murphy Brock, eine ins Sürreale Überdrehte Parodie auf die Schwierigkeiten die ein amerikanischer Rockmusiker haben kann, wenn er im Hotel beim Zimmerkellner was zu essen bestellt ("Something different! Strange! Perverse!") ... klar dass sich nach den lokalen Verhältnissen stets neues Material ergibt was im ganz speziellen Zappa-Sprachstil (Anarlanguage nennt es Urban) prüsentiert wird.

Und dieses Mal lässt Frank die Gruppe, bevor sie Montana spielen, erst einmal meditieren, "juz like the big groups do" & weil's so ein "tiefes" Lied ist was sie bringen wollen. Das muss man gesehen haben ... Zwischenrufe, "Yeah' Get down!", "Stop it!", als jeder seine eigene Meditationsposition einnimmt. Ruth verlässt ihr percussion set & kommt nach vorn an den Bühnenrand, steht vornübergebeugt mit gefalteten Hünden. Frank im Lotossitz. Heisere Stimme eines GI's aus den hinteren Sitzreihen: "Gonna smake a bowl?" ... Gelächter ringsum. Bis sich Frank nach einer Weile reckt & aufsteht, erleichtert: "Ahhhh, feeling so much better now" & sie gehen an die Instrumente zurück.

Oder Approximate: "The musicians get to play any notes they want, except that the rhythm is specified, to give 'em sort of a map to go by" erklärt Frank, und es lässt sich auf verschiedene Arten aufführen: "First with notes that you play, second with stuff that you sing & mumble, third with your feet" – Kompliziert?

Zappa sagt's selbst: so Probleme habt ihr mit den "big groups" nicht, weil sie sowas ganz einfach nicht bringen ... weil sie's nicht können, möchte man hinzufügen. Bei der Pantomime dann, als sie sich ruckartig über die Bühne bewegen & ihre Instrumente bearbeiten ohne dass auch nur ein einziger Ton zu hören ist, warnt Frank davor, die Sache lächerlich zu nehmen: "... this is a song of social protest & social commentary ..." (der Rest geht unter im Lärm des Publikums, es geht um die Amerikanische Regierung & Politisches Bewusstsein) & du sitzt sprachlos im Publikum & merkst deutlich wie dir die Absurdität in den Arsch beisst – und wie der Kerl da oben dazu noch blitzschnelle Fingerzeichen zaubert, das V für PEACE & gleich hinterher das FUCK YOU, und seine Grimasse dazu: das reisst dich vom Stuhl.

Yeah, und wie's scheint hat er sich das Beste noch für die Zugabe aufgehoben: Dinah-Moe Humm. Ein Song vom Album OVERNITE SENSATION (der text ist auf dem Cover abgedruckt) ... wer die Story kennt kann sich denken worum's geht als Frank mittendrin den Beleuchter bittet ein Spotlight auf die vorderen Zuhörer-Reihen zu drehen, er braucht eine Freiwillige: "I need one hot girl ..."

Und als sich niemand meldet: "OK if we can't have one hot girl, how about one sick soldier?"

Und da findet sich gleich ein GI der zu ihnen hinaufklettert auf die Bühne. Frank erklärt ihm worum's geht, dieser Teil des Songs hat Sound Effekte drin, schonmal das Lied gehört? Nein? Macht nichts. Also wir brauchen den Soundeffekt von jemand dem einer abgeht, weit über sein wildestes Begriffsvermögen hinaus ... und der Ami fängt an zu schreien.

Nein, nein ... das trifft's nicht ganz: "Pretend like you're fucking!"

"What?"

"You're fucking!"

"I guess I need sone help!" ruft der Ami darauf. Frank, wieder zum Publikum: "Can you please help the fucker out?! Make him come! Ich will Or-gas-mus!"

... ah und jetzt steigt noch eine junge Lady dazu, die als 'Little Cat' vorgestellt wird, und sie tanzen den Dinah-Moe Orgasmus Jig .... Frank: "Yes this is getting deep! It's almost time to meditate again!" worauf die Band wieder voll einsteigt dass ich jetzt fast schon wieder nasse Hosen kriege wenn ich's so höre aus dem Sony neben dem Typer .....

Zurück in die Garderobe wo uns Little Cat begegnet. Mirres Haar & das Hemd offen, kommt sie rüber zu uns & will ein Autogramm von Mother Urbu. Ist Amerikanerin & scheint ziemlich aufgedreht zu sein, fragt wie sie eine elektrische Gitarre verstärken könne wenn sie auf der Strasse spielt. Da reicht evtl schon der Lautsprecher eines alten Radios, sage ich, während Urban eins van seinen RAZ Infos aus dem Koffer holt & ihr was draufkritzelt. Kühler Abendwind der durch die offene Tür am anderen Ende des Flurs hereinzieht. Verabschieden uns, die Mothers sind schon draussen am Bus.

Landen nach Mitternacht in einem Restaurant in der City. Kaffee, Shrimp Cocktail & Serbische Bohnensuppe. Beim zweiten Bier wird der Mann von Kinney neben mir gesprächig. "Von meinem Job her komm ich ja mit allerhand Leuten aus dem Business zusammen. Weisst du, meistens sind's so die Typen die grad ein paar Akkorde auf der Gitarre können & dann den Superstar markieren & auf arrogant machen. Bei denen hier dagegen macht's richtig Spass dabeizusein. Sind allesamt feine Kerle."

Ein komischer Heini in Gärtnerkluft taucht auf & geht zwischen den Tischen herum mit einem Korb voll langstieliger dunkelroter Rosen die er mit entsprechender Lautstürke an den Mann zu bringen versucht. Frank kramt ein Markstück heraus & kauft ihm eine Rose ab, lehnt sich herüber an unseren Tisch & tippt Napoleon auf die Schulter dem er sie mit einem wortlosen Lächeln Überreicht.

Später sitzt Zappa abseits im Séparée nebenan mit zwei Kerlen die ein Uher auf dem Tisch aufgebaut haben & ihn für den Hessischen Rundfunk interviewen. Von dem was ich so aufschnappe merke ich die Leute stollen präzise Fragen & Franks Antworten sind dementsprechend. Sitzt mit wachen Augen übers Mikrofon gebeugt & ist voll da.

Als sie das Interview im Kasten haben taucht Urban auf & den nehmen sie sich auch gleich vor. Passt haargenau ins Bild dass noch ein Archivar mitreist der alle Details im Kopf hat ("Ask him - he knows", wie Frank zu sagen pflegte) und mit seiner echten & vollkommen natürlichen Begeisterung vielmehr eine Promother ist als ein Promoter ...

Nach & nach bricht die Runde auf & die Mothers machen sich auf den Weg zurück zum Hotel. Erwische ein Taxi mit Mother Urbu & den Dirigenten aus München der sich für Franks HUNCHENTOOT Script interessiert & meint es sei evtl hier beim Fernsehen unterzubringen. Was dem Deutschen Fernsehen zweifellos wieder etwas Profil geben würde.

In HUNCHENTOOT (Frank nennt es ein Science Fiction Musical) tritt u.a. ein Schwindler der Zukunft auf, der seine "alpha-meditierenden" Anhänger instruiert: "If something gets in your way / Just think it over / And it will fall down" ... ganz recht: das erinnert stark an Mother Hubbard & seine Scientology-Sekte. Zeigt sich dann im Hotel dass das Scenario in der Rezeption mehr ver- als hinterlegt wurde, der Nachtportier weiss nichts genaues & vertröstet uns auf den kommenden Tag.

Es ist so gegen drei Uhr morgens, in die Stille des Foyers klacken die genagelten Absötze van Urbans Cowboystiefeln auf der Rolltreppe. In der nächsten Etage irgendwo Dick Barber einsam in einem Sessel "Good nite Folks" sagt er warte noch auf Herbie für ein kurzes Business Meeting. Mit dem Lift weiter hinauf zu Urbans komfortablen Zimmer wo ich mirs auf dem geblümten weichen Teppichboden bequem mache.

BUNCH OF FULL COLOR PHOTOGRAPHS & FAREWELL

Frank sitzt bei einer Tasse Kaffee in der Bar als ich mit Urban gegen Mittag herunterkomme. Überlässt uns ohne viel Aufhebens seine Schuhe für eine Fotosession auf dem Frühstückstisch ... wahrhaftig ein paar heisse Rock&Roll Schuhe, handbemalt von dem Original "Hungry Freak" Carl Orestes Franzoni aus Los Angeles, dem Frank damals das "Hungry Freaks Daddy" auf dem FREAK OUT Album (1966) gewidmet hat. "He is freaky down to his toenails" schrieb Frank in den Liner Notes.

(Eeeek – wenn ich dagegen seh was sich heutzutage in unsren Breitengraden so alles "Freak" nennt ... aber das ist eine andere Story).

Nachmittags türmen sich im Foyer wieder die zahllosen Taschen & Koffern mit den schwarzen Aufklebern: Frank Zappa and the Mothers/ Est. 1964/ Cucamonga, California. Die Reise geht weiter, nächste Station ist Berlin. Marty Perellis checkt dos Gepäck, inzwischen ist der Bus vorm Portal vorgefahren.

Und als die Mothers-Truppe im Bus sitzt, zählt er erst noch einmal ab ob sie vollständig sind ... und ab gehts zum Airport.

Bis zum Abflug hat's noch eine Menge Zeit. Dick Barber macht in der Empfangshalle einen Fotoautomaten ausfindig, und einer nach dem andern nimmt Platz auf dem Hocker in der Kabine & lässt sich blitzen.

Man sieht wie die Mothers ihr Vergnügen dabei haben: warten immer gespannt bis sich der nächste farbige Fotostreifen aus dem Schlitz der Maschine schiebt & meist ist es Ruth die zuerst danach grabscht & schreit vor Freude & den ersten Kommentar abgibt. Frank der aussieht wie ein Soziologiestudent & Tom Fowler wie Buffallo Bill. Irgendwann ist das Kleingeld alle, jemand geht wechseln & die nächste Fotorunde ist fällig. Bis dann Dick Barber wieder auftaucht, er sucht sich die besten heraus, legt sie vorsichtig in seinen Koffer & führt uns anschliessend hinüber in die Waiting Lounge.

Und wie sie grad alle Platz gefunden haben, scheucht sie Dick Barber wieder auf: sie stellen sich in Pose für ein letztes Gruppenfoto.

Sitzen noch eine Weile herum, Frank klappt seinen Aktenkoffer auf & nimmt eine Dose mit Bonbons heraus die er herumreicht. Lächelt & erlaubt sich einen Scherz über den Bullen mit der MP unterm Arm drüben am Security Check. Gelächter.

Frage ihn ob's noch Hoffnung gibt für jene historischen Aufnahmen der alten Mothers, die schon früher als ein Set von neun Alben veröffentlicht werden sollten ... er sagt ja, das steht noch auf dem Programm, aber noch nichts definitiv wann & in welcher Form. Und dann ist's soweit, Passagiere für den Berlin-Flug BE 1862 anstellen zum Security Check. Handshake...

ADIOS LAS MADRES.

 

*) Das vollstöndige Interview wird zu finden sein in dem Buch das im nächsten Jahr bei der MacMillan Publishing Co. erscheint: "IN THEIR OWN NORDS: LYRICS AND LYRICISTS 1955-1974" von Bruce Pollock. Vorabdruck des Zappa-Interviews in HOT RAZ TIMES Vol.2 No.1, Fanzy/Fuck '74.

**) ZAPPARAP/ Miles talks to Frank (IT No.63, 29/8/69)

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