Nehmt den Alten ihre Macht: Frank Zappa

Rolf-Ulrich Kaiser

Das Buch der neuen Pop-Musik, 1968


Die populärste Band der neuen Pop-Musik heisst Mothers of Invention. Ihr Gründer und Leiter, zum Teil Manager und Ideengeber, wurde in Europa zunächst durch ein Foto in der international times bekannt: Es zeigte Frank Zappa auf einem Lokus. Aus dem Foto machten findige Geschäftsleute ein Plakat, das in ganz Europa tausendfach verkauft wurde. Als Zappa nach Europa kam, wunderte man sich. Man hatte einen wilden, bösen Bürgerschreck erwartet. Man fand einen klugen, selbstbewussten Bandchef, dessen Kompositionen zum grossen Teil das Prädikat genial verdienen.

Zappa ist die zentrale Figur der neuen Pop-Musik, wenngleich er – im Vergleich zu Tuli Kupferberg und Ed Sanders von den Fugs etwa – nicht unbedingt die revolutionäre politische Einstellung vieler dieser Musiker vertritt. Zappa argumentiert diplomatischer, taktischer. Das kreideten ihm Über-Soll-Erfüller aus linken Berliner Kreisen bei seinem Berlin-Besuch 1968 an. Sie enthüllten während des Konzertes eine Leinwand mit der Aufschrift: Mothers of Reaction.

Über Zappas politische Einstellung, aber auch über den Umgang der Untergrund-Musiker mit den Medien und den Plattenverwertern des Establishments sowie über seine Versuche im musikalischen Bereich seiner Arbeit gibt das folgende Interview Auskunft. Es wurde im Sommer 1968 von mir in Zappas damaligem Haus, dem Tom-Mix-Palast in Hollywood, aufgenommen. Tom Mix soll sich diesen Palast während seiner Stummfilmzeit gebaut haben. Nun ist er zerfallen und dient Hippie-Kommunen als Zuhause oder eben Frank Zappa und seinen vielen Gästen.

Sie haben einmal gesagt: Dieses Land wird bald in der Überzahl von jungen Leuten bewohnt sein. Das Ziel sei darum, die Macht in diesem Land zu übernehmen.

Das wäre gut. Es fehlt jedoch jemand, der die Fähigkeit besitzt, diese Massen junger Leute zu führen, der die Angelegenheiten dieses Landes nicht mehr den alten Leuten überlässt. Sie kennen die Probleme junger Leute nicht und interessieren sich auch nicht dafür.

Das gilt nicht nur für Amerika, sondern trifft auf alle Länder zu: Sie waren zu lange in den Händen der alten Leute. Andererseits ist es wiederum so, dass die jungen Leute, die die Sache heute übernehmen könnten, einfach gar nicht darauf vorbereitet sind. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen als ein Amerika, das plötzlich einen achtzehnjährigen Präsidenten hat. Die jungen Leute sollen die Macht übernehmen, aber sie müssen sich darauf vorbereiten.

Die Taktik

Wie? Durch eine Revolution?

Meinen Sie die Taktik?

Gewiss.

In den USA ist der schnellste und sicherste Weg, etwas zu ändern, eine Art Guerilla-Vorgehen, etwas in der Art von Infiltration. Ich glaube, dass blutige Aufstände auf der Strasse nirgendwo zu etwas führen, vor allem nicht in den USA.

Warum nicht?

Man ist dort zu gut gegen jede Art Aufruhr ausgerüstet. Im offenen Strassenkampf mit Polizei oder Army haben sie keine grosse Chance. Und eben nur ein paar Häuser niederzubrennen, hilft nicht, die Sache in Ordnung zu bringen. Der einzige Effekt wird sein, dass man eine ganze Menge Leute gegen sich aufbringt, weil sie einen für die Brände verantwortlich machen. Leute, die sich vorher nie um Politik gekümmert haben, werden sich gegen einen stellen. Sie wollen ihre Sicherheit.

Welche Taktik also mögen Sie?

Der beste Weg, in den USA die Sache in Ordnung zu bringen, wäre, in die Positionen der zur Zeit amtierenden alten Leute einzusteigen und ihre Arbeit zu übernehmen.

Dann wird es in zwanzig Jahren wieder eine Generation geben, die Ihnen die Arbeit nehmen muss?

Vielleicht. Aber ich sehe eigentlich keinen Hinweis darauf. Irgendwann muss doch erst einmal grundsätzlich endlich das System verändert werden, muss die Majorität des Volkes endlich in der Regierung vertreten sein. In den USA lag die Macht bisher nur in den Händen der Leute eines Alters und einer gesellschaftlichen Schicht, die absolut nicht repräsentativ ist für den Volksdurchschnitt.

Ist Ihre Arbeit ein Beispiel für die erhoffte Machtübernahme?

Wir wollen dazu beitragen, dass die Leute politisch bewusst werden. Die meisten jungen Amerikaner denken nicht politisch. Sie haben zu viel Freizeit. Und alles, was sie daraus machen, ist Have a good time. Wenn wir sie aber dazu bringen könnten, nachzudenken, wäre das schon etwas.

Elektronische Musik

In ihrer Musik mischen sich vielfältige Einflüsse.

Alles, was wir auf unseren ersten Alben aufgenommen haben, war ein Versuch, jungen Leuten musikalische Experimente zugänglich zu machen, mit denen sie sonst nie in Kontakt kommen.

Was bedeutet das?

Die meisten jungen Leute in den USA, die Pop-Musik hören, haben noch niemals ein Orchester gesehen. Sie wissen kaum, was ein Orchester ist. Und wenn sie es doch schon mal gesehen haben, dann im Fernsehen, 45 cm breit, 35 cm hoch, grau. Sie kennen kein Orchester, sie kennen keinen Jazz, keine ernste Musik. Sie kennen nur Rock'n'Roll. Da wir nun aber ernste Musik, Jazz, gesprochenes Material des absurden Theaters kombinieren und auf einer Rock 'n' Roll-Basis transportieren, können wir ihnen eine ganze Masse neuer Informationen geben.

Wie ist das Experiment ausgegangen?

Es hat sich als effektiv erwiesen. Seitdem wir mit Rock- und elektronischen Musik-Kombinationen begonnen haben, ist der Umsatz von Platten elektronischer Musik gestiegen. Auch unsere Platten haben sich gut verkauft. Viele kaufen diese Platten, weil darauf Fragen gestellt werden. Sie warten darauf, dass man ihnen Fragen stellt. Blosses unverändertes Wiederkäuen einer Gitarre, die eine Menge Krach macht, ist nicht begehrt.

War die Umsatzsteigerung der Platten elektronischer Musik eine Folge des Mothers-Erfolges?

Nein, so kann man das nicht sehen. Aber vor unserem Album Freak out gab es in den USA keine rechte experimentelle und avantgardistische, die sogenannte psychedelische Musik. Wir waren die erste Gruppe, die elektronische Effekte in die Pop-Musik aufnahm. Seitdem haben auch andere Gruppen in dieser Weise zu experimentieren begonnen. All das trägt dazu bei, elektronische Musik in der Öffentlichkeit bekanntzumachen.

Inwieweit hat Sie die elektronische Musik beeinflusst?

Ich besitze sehr viele Platten mit elektronischer Musik. Den grössten Teil von ihnen kann ich nicht ausstehen. Sie sind zum Teil so richtig schlecht und minderwertig. Man muss halt auch verstehen, elektronische Musik gut zu produzieren. Zuallererst muss man fähig sein, mit der Technologie umzugehen. Aber es gibt nicht viele Studios für elektronische Musik, und nur wenige von ihnen sind erstklassig. Viele sind auch einfach für die Interessenten nicht zugänglich. Ich könnte zum Beispiel nie in ein Stockhausen-Studio kommen oder nach Paris. Selbst wenn ich daran interessiert wäre, auf diesem Gebiet etwas zu machen.

Gibt es Komponisten, die Sie beeinflusst haben?

Gelegentlich Strawinski, Stockhausen, einige andere. Aber im Grunde nur Edgar Varèse.

Idol Varèse

Wann hatten Sie mit ihm Kontakt?

Mit 14 Jahren bekam ich ein Album in die Finger, das ziemlich schlecht produziert war, Die gesammelten Werke von Edgar Varèse, Teil 1. Darauf waren vier Kompositionen von ihm, die ich sogleich mochte. Ich hatte vorher noch nie so etwas gehört. Aber es ist eine grossartige Musik. Man hat Varèses Grösse noch nicht erkannt, aber er ist eines der grössten Genies unserer Zeit.

Haben Sie ihn kennengelernt?

Ich habe mich darum bemüht. Als ich fünfzehn wurde, fragte mich meine Mutter nach meinem Geburtstagswunsch. Ich erbat die fünf Dollar, die zur Verfügung standen, für ein Ferngespräch nach New York; wir wohnten damals schon in Kalifornien. Ich erkundigte mich nach Varèses Telefonnummer und rief an. Seine Frau meldete sich und antwortete, er sei in Brüssel. Ich solle in zwei Wochen anrufen. Das tat ich. Er war da. Ich sprach mit ihm und sagte ihm, dass ich seine Musik sehr schätze. Ich glaube, er fand das ein wenig komisch. Aber er war sehr nett.

Haben Sie ihn später gesehen?

Er lud mich ein, ihn in New York zu besuchen, wenn ich dort zufällig hinkäme. Mit achtzehn musste ich an die Ostküste, um einige Verwandte in Baltimore zu treffen. Ich fragte an, ob ich ihn in New York treffen könnte. Aber er schrieb ab, weil er wieder einmal nach Brüssel müsse. Als ich dann noch einmal an die Ostküste fuhr, war Varèse gerade gestorben.

Haben Sie sich sehr in Ihrer Arbeit durch Varèse beeinflussen lassen?

Ich besitze fast alle seine Platten, die man hier bekommen kann. Ich sehe in ihm den idealen modernen Komponisten. Besonders bewundere ich an ihm seine Charakterstärke, die ihm half, schon vor dreissig, vierzig fahren solche Musik zu schreiben. Die Art, wie er sie zusammenstellte, ist einfach einmalig.

Wo kann man den Einfluss deutlich sehen?

In einigen Teilen meiner eignen Platte Lumpy Gravy. Die zweite Seite ist sehr charakteristisch für Varèse. Die meisten Akkorde sind in Dur-Septimen und Moll-Nonen aufgebaut, und das Ganze ist ein sehr komplexer Rhythmus. Leider ist die Aufnahme technisch nicht sehr gut.

Warum nicht?

Die Aufnahme dieser Platte war ein grosses Problem. Man hatte nicht die Zeit, mit dem Orchester zu proben. Ich hatte nur ein Studio-Orchester zur Verfügung. Die Leute setzten sich ins Studio, arbeiteten kurz an ihren Parts, und obwohl die Musik sehr schwierig ist, haben wir alles nur vier- oder fünfmal durchspielen können. Der Rhythmus bleibt unzusammenhängend. Der Toningenieur hatte vorher noch nie ein Symphonieorchester aufgenommen und wusste auch nicht so recht, wie er das machen sollte.

Haben Sie weitere Pläne, ernste Musik mit Ihrer Gruppe zu machen?

Ja, wir arbeiten seit dem letzten Jahr insgeheim daran.

Planen Sie eine Zusammenarbeit mit Symphonieorchestern?

Wir wollen zusammen mit dem Los-Angeles-Philharmonie-Orchester ein Konzert und eine Platte machen.

Blues

Diese Musik ist allerdings nur ein Teil der gesamten Mothers-Musik. Wichtiger für Ihre Popularität ist ja wohl Ihr Rock 'n' Roll.

Das stimmt.

Sind Sie vom Rock 'n' Roll beeinflusst worden?

Nicht so sehr. Mehr schon vom Rhythm and Blues. Zum Beispiel von Muddy Waters.

Haben Sie viele Blues-Platten?

Ja.

Wie viele?

Ungefähr 800 45er, 100 78er und etwa 100 Langspielplatten.

Welcher Jazzmusiker hat Sie interessiert?

Coltrane.

Die Texte ...

Manche unserer Liedertexte sind einfach ,eine Art Komödientexte. Sie haben mit der sozialen oder politischen Situation nichts zu tun. Andere Texte sind rein politisch, einige auch surrealistisch.

Schreiben Sie alle Texte selbst?

Ja.

Gibt es Einflüsse auf Ihren Schreibstil?

Direkt nicht. Allenfalls in der Umgebung. Alles ist meine persönliche Erfahrung. Und so sollte man es auch werten.

Für Ihren Auftritt knoten Sie Ihren Haarschopf auf. Sie bereiten sich auf Ihre Show vor ...

Aber natürlich, das ist ja auch nötig. Zwischen Plattenaufnahmen und öffentlichem Auftritt ist ein grosser Unterschied. Das sind zwei völlig verschiedene Medien. Wenn die Leute einen spielen sehen wollen, dann brauchen sie auch visuelle Erlebnisse. In unseren Shows sollen sie unterhalten werden; denn wir werden durch sie unterhalten. Wenn wir die Show geniessen, tun wir, was uns gerade Spass macht. Reissen Witze über Dinge, die uns zum Lachen bringen. Und manchmal wissen die Zuschauer gar nicht mehr, worum es überhaupt geht.

Wieviel an der Show ist Improvisation?

Ungefähr siebzig Prozent. Die übrigen dreissig Prozent bilden ein sorgfältig konstruiertes Skelett, an dem die Improvisation sich orientiert. Ich gebe den einzelnen Gruppenmitgliedern Handzeichen, die etwas Bestimmtes bedeuten, was gleich geschehen wird. Das ist vorgeplant und gibt der Improvisation eine Art Struktur.

Management

Sie machen nicht nur Musik und Texte, sondern verkaufen sie auch.

Ja, bei uns ist das alles ein wenig anders. Zuerst hatten wir Herb Cohen als Manager. Aber da er aus dem Folk-Genre kam, hatte er zunächst Schwierigkeiten, unsere andersartige Musik an den Mann zu bringen. Niemand hatte bis dahin so etwas gehört, und niemand wusste also, wie man es verkaufen sollte.

Welche Ideen hatten Sie dafür?

Die Gruppe sollte nicht wie eine normale kommerzielle Rock 'n' RollBand angepriesen werden. So fing ich an, mich um Planung und Verpackung unseres Materials zu kümmern. Wir haben das schliesslich alles selbst gemacht.

Und zum Beispiel wie?

Rock'n'Roll-Bands verkauft man gemeinhin mit Phrasen wie Die grösste, phantastischste Rock'n'Roll-Gruppe seit Jahren, Die neuen Beatles, Die neuen Rolling Stones. Viele Leute fanden uns generell schlecht. Sie verstanden nicht, was wir da machten, mochten unsere Art Musik nicht und waren böse auf all das, was wir über die Regierung und sie sagten. Und deswegen versuchten sie zunächst, uns einfach zu übersehen, so zu tun, als wenn wir nicht existierten. Wir haben sie dann jedoch immer wieder daran erinnert, da ss es uns noch gab, und die ersten Platten verkauft und sogar Leute gefunden, die in unsere Konzerte kamen, nicht um zuzuhören, sondern um uns auszulachen. Wir fanden rasch heraus, dass es schwierig war, uns Ärger zu machen; dass wir aber gross darin waren, sie zu ärgern.

Wie war das mit den Anzeigen für die Platten?

Vor etwa eineinhalb fahren haben wir begonnen, die Anzeigen für unsere Platten selbst zu entwerfen und zu streuen. Die Anzeigen unserer Plattengesellschaft stimmten einfach nicht, waren altmodisch und auf das falsche Publikum zugeschnitten. Vor allem erschienen sie in den falschen Zeitungen.

Wo annoncierten Sie?

Meistens in der Underground-Presse. Wir sind irgendwie zusammen aufgewachsen, die underground press und die Mothers of Invention. Wir haben die Plattengesellschaft dazu gebracht, für uns dort zu annoncieren. Andere Plattenfirmen haben nachgezogen. Nicht zuletzt dadurch ist die underground press heute so gross und erfolgreich.

Zappa-Firmen

Welche Firma vertritt jetzt die Mothers of Invention?

Das läuft zur Zeit folgendermassen: Ich besitze eine Firma, genannt Intercontinental Absurdities. I. A. besitzt die Mothers und N. T. & B., unsere Anzeigenfirma. Ausserdem gibt es Bizarre Productions. Herb Cohen und ich sind Partner. Ausserdem haben wir noch einige kleinere Firmen.

Sie wollen nun auch Platten produzieren?

Bizarre Productions soll in Zukunft die Platten der Mothers of Invention produzieren und verlegen.

Sollen unter diesem Etikett auch andere Gruppen herauskommen?

Ja, eine ganze Reihe. Wir möchten übrigens auch zeitgenössische Musik produzieren. Ich will es mit Musik probieren, die bislang weitgehend unbeachtet blieb. Musik, der die etablierten Plattenbosse keine Chance geben. Sie werden sich noch wundern.

Werden Sie mit Experimenten Erfolg haben?

Ich nehme es an. Ich denke oft daran, dass ich während meiner High-School-Zeit in musikhistorischen Büchern Interessantes über viele Kompositionen gelesen habe, die heute kaum noch jemand kennt. Ich wüsste zu gern, wie sich ihre Musik anhört. Und so ist meine Bildung sehr unvollständig geblieben.

Werden Sie durch ihre Gesellschaften wirklich vom Showbusiness unabhängig?

Nun, bis zu einem gewissen Grade werden wir mit der etablierten Musikindustrie zusammenarbeiten müssen. Das heisst nicht, dass wir ihre Taktiken übernehmen müssen. Aber sonst kriegen wir unsere Produkte nicht auf den Markt. Es ist nicht nötig, sich wie ein eiskalter Business-Mann zu benehmen.

Sie meinen, bei Ihnen liefe das anders?

Ja.

Wie werden die Mitglieder der Mothers of Invention bezahlt?

Sie bekommen pro Woche 200 Dollar als Vorschuss. Damit haben sie ein geregeltes Einkommen, da wir ja nicht immer gleichmässig verdienen.

Mothers-Story

Wie ist es zu den Mothers of Invention gekommen?

Tja, vor langer Zeit war ich in der High School und sass mit dem Menschen herum, der jetzt Trompete spielt, und mit einem anderen Freund, der jetzt die Captain-Beefheart-Band leitet. Wir gingen zusammen zur Schule und überlegten oft, was wir nach der Schule machen würden ... Schliesslich war die Schulzeit zu Ende, und wir trennten uns. Durch irgendeinen seltenen Zufall kamen wir alle wieder zusammen. Aber wir wussten immer noch nicht, was zu tun war.

Wann wussten Sie es?

Nun, eines Tages reichte es uns. Inzwischen hatten sich an anderer Stelle einige andere Leute zu einer Band zusammengetan, zu der Gruppe Soul Giants. Roy, unser Bassist, und Ian spielten dort. Einer von ihnen fiel aus, noch jemand. Und so kamen sie bei mir vorbei und fragten, ob wir mitspielen wollten. Wir stiegen in die Gruppe ein und spielten mit in ihrer Bar. Und da sich die Gruppe immer besser anhörte, schlug ich vor, beisammenzubleiben und etwas Originelles zu lernen, um dann gross herauszukommen. Wir fingen damit an. Nun machten wir alles durch, alle möglichen Arten wirtschaftlichen Ruins. Hunger, Misserfolg, Rückschläge. Ungefähr ein Jahr lang. Dann haben wir Freak out produziert, und danach haben wir noch mehr gehungert, bis wir schliesslich in diesem Jahr genug zu essen haben und alle relativ bequem leben können. Jeder scheint ein Haus zu haben, Auto und Frau oder Freundin. Es ist alles okay.

Platten-Business

Wieviel Platten haben Sie mittlerweile verkauft?

Das ist schwer zu sagen, da wir bis jetzt noch keine genaue Abrechnung von unseren verkauften Platten bekommen konnten. Aber ich glaube, ungefähr 800 000. Das ist die Gesamtzahl.

Sie haben jetzt Ihre eigene Platte Lumpy Gravy gemacht.

Das war eine komische Sache mit Lumpy Gravy. Ich musste die Sache in elf Tagen schreiben. Ich benutzte alle Themen, die ich in den letzten fahren geschrieben hatte, und arbeitete sie symphonisch aus. Nachdem der symphonische Teil aufgenommen war, fügte ich einige Monate später gesprochenes Material zu.

Für wen sollten Sie die Platten machen?

Ich hatte einen Auftrag von Capitol Records.

Warum erschien die Platte bei MGM?

Aufgrund einer Reihe von juristischen Argumenten, die folgten, als wir die Platte für Capitol aufgenommen hatten. MGM hat sie dann von Capitol gekauft.

Nur um die Mothers und Sie in ihrem Programm zu behalten?

Wahrscheinlich. Nicht weil die die Musik gut fanden oder weil die mich gut leiden konnten. Sie wollten nur alles für sich haben.

Platten-Zensur

Sind Sie von MGM zensiert worden?

Manchmal. Aber all das steht jetzt nicht mehr zur Diskussion, weil wir unsere Platten nun selbst machen und nicht mehr mit MGM zusammenarbeiten müssen.

Können Sie mir Beispiele von Zensur geben?

Sie entfernten bestimmte Zeilen aus den Liedern, ohne mich deshalb zu fragen. Eine der Zeilen, die sie entfernten, hiess: Ich erinnere mich immer noch an Mama mit ihrer Schürze, wie sie alle jungen und Mädchen in Eds Cafe fütterte. Ich weiss nicht, was sie daran schmutzig fanden; aber sie haben diesen Satz herausgeschnitten.

Warum weigerte sich MGM, die Texte Ihrer ersten Songs aufs Cover zu drucken?

Die juristische Abteilung fürchtete, dass sie vor Gericht nichts ausrichten könne, wenn irgendeine Hausfrau oder Mutter sich in einem Plattengeschäft über die Texte beschweren würde, die auf dem Cover gedruckt wären.

Wie konnte man die Aufnahmen praktisch zensieren?

Sie haben den Sound des Bandes geändert, damit die Worte schwieriger zu verstehen waren.

Konnten Sie nichts dagegen unternehmen?

Nein. Wenn sie erst einmal das fertige Band von mir erhalten haben, ist es aus meinen Händen. Dann geht es in ihre Verarbeitung, und sie machen eine Platte daraus. Dabei können sie am Sound herummanipulieren.

Kann man das nicht durch einen Anwalt verhindern?

Wenn Sie zu einem Anwalt gehen, kostet Sie das Tausende von Dollars. Inzwischen aber sind bereits viele Exemplare des Albums verkauft. Nun können alle diese Käufer kommen und ein Exemplar der neuen, unzensierten Platte verlangen. Das heisst, dass jeder in jeder Hinsicht Geld verlieren würde. Es wäre letzten Ende alles reichlich sinnlos.

TV, Funk

Was für Erfahrungen haben Sie mit dem amerikanischen Radio und Fernsehen gemacht?

Der amerikanische Rundfunk weigert sich im allgemeinen, unsere Platten zu senden. Es gibt nur wenige Stationen, die ab und zu unsere Lieder spielen, dann aber meistens auch nur kurze Stücke oder einzelne Teile. Sie senden überhaupt nur jene Songs, die sie für sicher halten und die insofern bedeutungslos sind, als sie die Leute nicht aufregen oder stören und unpolitisch bleiben. Beim Fernsehen ist es fast genauso. Wir haben sehr selten Fernsehauftritte.

Aber Sie haben manchmal welche?

Ja, zwei oder drei hatten wir.

Lange Sendungen?

Sie gaben uns ungefähr sechs Minuten, die sie in zwei Teilen brachten. So hat man jeweils drei Minuten Spielzeit.

Also gar keine richtigen Shows, nur Augenblicke.

Genau, sie geben einem nur die Chance, von den Leuten wie ein Tier aus dem Zoo gesehen zu werden. Dann machen sie weiter und versorgen das Publikum mit dem, was sie für das Publikum interessant finden: langweilige Unterhaltung, dummes Zeug.

Sollten Sie sich dann nicht einen eigenen Sender zulegen?

Das ist hier in den USA sehr schwierig, da die Regierung das alles sehr genau kontrolliert. Ich weiss nicht, ob sich die Investition bezahlt machen würde. Andererseits würde ich furchtbar gern eine eigene Rundfunkstation haben.

Berichten Funk und Fernsehen ausführlicher über Sie, je populärer Sie werden?

Natürlich wird dadurch ein gewisser Druck auf die Stationen ausgeübt. Aber der Verkauf unserer Platten steht in keinem Verhältnis zu dem bösen Willen, den man uns in den USA gerade in Funk und Fernsehen fühlen lässt. Sie sind darauf bedacht, uns auszuschalten, soweit das nur möglich ist.

Warum sind die Stationen gegen Ihre Musik?

Bedenken Sie die Struktur unserer Rundfunk- und Fernsehstationen in den USA. Sie gehören wie die meisten Medien rechtsorientierten Business-Leuten, die in keiner Weise liberal denken. Sie mögen keine neuen Ideen, keine Ideen, die mit ihrem Standpunkt nicht übereinstimmen. So etwas halten sie mit Absicht von der Öffentlichkeit fern.

Selbst wenn die Ideen nicht ausdrücklich politisch sind?

Selbst dann. Egal was – sie versuchen, es fernzuhalten. Sie würden gern alles unter ihrer Kontrolle wissen. Und wenn wir dann über einen Mann im Rathaus singen, mit braunen Schuhen, der versucht hat, mit seiner dreizehnjährigen schokoladebeschmierten Tochter ins Bett zu gehen, und wenn wir dem Hörer erklären, dass dieser Mann für Gesetze mitverantwortlich ist, die das soziale Verhalten von anderen Leuten bestimmen, dann wollen sie das natürlich nicht senden.

Andere Beispiele ...

Wenn wir ein Lied über sexuelle Praktiken junger Leute machen, über das Verhältnis von Boy und Girl, und uns dabei nicht an die Konvention halten, nicht den moralischen Standpunkt des Durchschnittsamerikaners vertreten – dann soll das niemand hören. So hat eine technische Rundfunkstation eine unserer Platten mit einem bösen Brief an MGM zurückgeschickt, in dem stand, dass dieser Dreck in Amerika nicht veröffentlicht werden sollte.

Sex

Warum singen die Mothers of Invention so viel über sexuelle Frustration?

Weil ich glaube, dass das wohl die Basis dessen ist, was in Amerika schlecht ist. Wissen Sie, ich glaube, Frustration und Gier sind die beiden wichtigsten Antriebskräfte. In amerikanischen Filmen ist der Sex von der Gewalt abgelöst worden, und jedesmal, wenn in solch einem Film jemand erschossen, erschlagen, verstümmelt oder gefoltert wird, würden die gleichen Zuschauer, die sich gerade daran erfreuen, zu gerne mit einem Mädchen schlafen, wenn man ihnen das nur erlaubte. Gewalt aber ist akzeptiert. Zieht sich einer aus, wird irgend etwas Sexuelles dargestellt, so sieht man das meistens als etwas Ekelhaftes an. Als eine Art burleske Striptease-Erregung.

Machen Sie Pornographie?

Ich glaube nicht, dass es Pornographie überhaupt gibt. Pornographie ist ein juristischer Ausdruck, der von alten Männern erfunden und propagiert wurde. Eine Art Gegenmechanismus; denn es gibt gar nichts, das irgendwie dreckig, ekelhaft oder widerlich ist. Zum Beispiel gibt es in den USA bestimmte Vier-Buchstaben-Wörter, die einfach verboten sind. Ich finde das richtig dumm. All das ist eine gefährliche Kombination von Pornographie und Politik. Es gibt so vieles, was das Establishment für pornographisch hält, auch viele meiner Texte. Ich habe deshalb generell aufgehört, zu versuchen, herauszubekommen, was genehm ist und was nicht.

Veränderung

Wie sollte Ihrer Meinung nach eine neue Gesellschaft aussehen?

Ich fände eine Gesellschaft ohne Regierung gut. Ich glaube, das wäre ideal. Aber innerhalb der nächsten 500 Jahre sind wir dafür nicht reif.

Was machen wir bis dahin?

Inzwischen sollten wir das Beste aus dieser Gesellschaft machen, die auf einer demokratischen Regierungsform beruht, die wirklich am Willen des Volkes interessiert ist. Ich finde, wenn man heute von Demokratie redet, so ist das ein Witz; denn die Leute, die angeblich die Demokratie verwalten, haben den Kontakt mit dem Volk verloren. Sie besitzen nicht einmal die Klugheit, den Leuten das zu geben, was sie brauchen, und schon gar nicht, was sie manchmal wünschen.

Es gibt Leute, die nicht in der Regierung sitzen und sich für Sachen einsetzen, aus denen sie ihren persönlichen Profit schlagen wollen. Diese Lobbyisten achten nur auf ihre eigenen Interessen und nicht im geringsten auf die des Volkes, für das die Regierung dasein sollte. Sie aber beeinflussen die Entscheidungen der Regierung massgeblich. Das muss endlich abgeschafft werden. Zu der augenblicklichen Regierung habe ich kein Vertrauen. Ich glaube nichts von dem, was wie verkündet, weil ich die Zusammenhänge kenne und weiss, wie oft rte gelogen hat und weiterhin lügen wird. Sie halten das ganze Volk zum Narren.

Eine hoffnungslose Situation ...

Nicht unbedingt. Diese Zeiten sind vorbei. Das Volk ist dabei, der Regierung auf die Schliche zu kommen. Das einzige Problem ist, dass noch niemand die vernünftige Alternative vorgeschlagen hat. Zwar haben wir alle vier Jahre Präsidentenwahlen; die Leute jedoch, die sich dabei zur Wahl stellen, sind immer die gleichen. Es gibt keine Unterschiede zwischen ihnen. Sie sind dieselben alten Leute, die dasselbe alte Zeug machen werden, und sie werden nichts an der Regierung ändern. Es ist im Grunde einfach sinnlos.

Sind Sie Anarchist?

Zu Hause, in meiner Freizeit, in meinen geheimen Gedanken. Aber ich bin auch praktisch veranlagt, und ich weiss, dass es nicht funktionieren würde. Eine Anarchie kann nicht funktionieren, wenn das Volk nicht vollkommen kultiviert und zivilisiert ist. Und soweit rind wir noch längst nicht. Es ist nicht kultiviert, es ist nicht zivilisiert, und viele hungern noch immer. Wenn sie nicht nach Essen hungern, dann nach irgendeiner emotionalen Hilfe, die sie nicht bekommen. Man muss sich mit dieser sehr unerfreulichen und ungerechten Gesellschaft auseinandersetzen, und man kann das nicht auf die Art und Weise tun, dass man schlicht verkündet: Hier, da habt ihr alle eure Freiheit. Ihr könnt tun, was ihr wollt. Es gibt keine Regierung mehr. Das ist unmöglich, weil die Leute nicht wüssten, was sie tun sollen. Sie würden sich gegenseitig bei lebendigem Leibe fressen, wie Tiere. Man müsste sie also aufklären. Darf man dann noch unterhalten? Es wäre der Idealfall, dass man ein insgesamt politisch und sozial bewusstes Publikum hätte. Ein engagiertes Publikum, zu dem man praktisch kaum noch reden müsste, das irgendwie fühlt, was man machen will. Aber auf der anderen Seite: Wer ist man denn, dass man sich anmassen könnte, das Publikum könne eins mit einem sein. Wer braucht uns schon? So müssen wir versuchen, es langsam umzuerziehen, weiter aufzuklären und dem Publikum diesen Erziehungsprozess schmackhaft und spassig zu machen.

Mothers

Wie sieht die Zukunft der Mothers of Invention aus?

Der Sound ändert sich dauernd. Er wird in sechs Monaten schon wieder ganz woanders sein. Er scheint zur Zeit eine besonders wesentliche Wandlung durchzumachen.

Ist die Richtung schon festgelegt?

Nein, denn die Veränderung ist meistens ein Resultat der vielen Erlebnisse und Erfahrungen der Persönlichkeiten der Gruppe. Wir sind keine Teenager mehr, aber wir sind immer noch jung genug, um noch zu wachsen. Emotional zu wachsen und überall da, wo wir Neues entdecken können. Wenn wir etwas Neues finden und es persönlich verdaut haben, findet es seinen Ausdruck in unserer Musik. Und so ändert sie sich dauernd.

Sind diese Wandlungen nur emotional bedingt?

Nicht unbedingt. Ein Beispiel: Unsere Musiktechnik wird von Probe zu Probe, von Konzert zu Konzert besser. Die Sachen, die wir jetzt zu spielen in der Lage sind, unterscheiden sich sehr von denen, die wir konnten, als wir zu spielen begannen. Sie sind technisch perfekter. Am Anfang hatten wir Schwierigkeiten, Stücke in 5/8 oder 7/8 zu spielen. Jetzt macht uns das nichts mehr aus. Wir spielen sie, als wären sie ohne Schwierigkeiten. Im Augenblick arbeiten wir an Stücken, die einen so komplexen Rhythmus haben, dass es schwierig ist, ihn in Noten zu fassen.

Proben Sie viel?

Wir proben soviel wie möglich. Je besser wir werden und je besser wir werden wollen, desto mehr müssen wir proben. Wir treffen uns zur Zeit an vier oder fünf Tagen in der Woche.

Sind Sie mit den technischen Möglichkeiten zufrieden, die sich Ihnen bieten?

Wir arbeiten zur Zeit an einem Plan für ein eigenes, neues Aufnahmestudio. Ich war heute nachmittag da und habe die Pläne für unsere neue Ausrüstung besprochen, die wir in dem Studio brauchen. Das ist ein sehr fortschrittliches System. Ich mache mir sehr viele Gedanken über die Zukunft der elektronischen Musik. Ich würde es begrüssen, wenn sie von blosser Wissenschaft zur Kunst würde. Das einzige Problem sind die Installationen, die diese Musik so teuer machen. Es ist sehr schwierig, sie zu bekommen, wenn man nicht sehr reich ist. Wir sind es nicht.

Gerät Ihre Musik nicht in die Gefahr, durch die vielen Experimente den sozialen, inhaltlichen Bezug zu verlieren und damit nur noch esoterisches Part pour Part zu werden?

Am Anfang hätten wir etwas eigenwilliger sein können, als wir es jetzt sind. Aber ich habe versucht, ohne den Inhalt dabei zu beeinträchtigen  Wege zu finden, um dem Durchschnittszuhörer die Ideen in meiner Musik zugänglich zu machen, selbst wenn er die Musik nicht völlig versteht. Die Texte waren bislang einfach genug, sie blieben so durchsichtig, dass sie auch ein Idiot kapieren konnte. In der Musik wiederum waren genug Aspekte, die sie für intelligente Leute attraktiv machte. Zugleich aber hatte auch der Durchschnittshörer die Chance, sich an irgend etwas in der Musik festzuhalten.

Welcher Aspekt ist für Sie wichtiger, der soziale oder der experimentelle?

Nun, ich bin Komponist, und ich nenne mich gern einen Komponisten. Ich liebe es, zu komponieren. Es gibt mir mehr als alles andere. Ich ziehe das Schreiben dem Spielen vor. Aber gleichzeitig fühle ich so eine Art Verantwortung, dass gewisse Dinge gesagt und getan werden müssen im Zusammenhang, im Konnex mit der Situation unserer Gesellschaft. Und so lange diese Situationen nicht geändert mind oder zumindest Schritte in diese Richtung getan werden, würde ich das Gefühl haben, unehrlich gewesen zu sein, wenn ich mich nicht darum kümmerte. Ich glaube, was wir im Augenblick machen, hit eine Art Gebrauchsmusik, es ist sehr funktionell.

Sommer 69

Im Sommer 1969 traf ich Frank Zappa in London. Er hatte gerade ein Konzert in der Royal Albert Hall gegeben und erzählte mir nun von seinen neuen Projekten. Er hatte zwei Schallplattenfirmen, Bizarre und Straight, gegründet.

Und das Geschäft geht gut?

Ja. Wir sind keine grosse Schallplattengesellschaft. Aber wenn man bedenkt, was für eine Art Platten wir machen und wie relativ klein der Markt dafür ist...

Sie machen kein Defizit.

Nein, aber wir haben auch nicht viel verdient. Wir haben bis jetzt nur Geld ausgegeben, bis Mitte 1968.

Aber etwas Profit erhoffen Sie sich doch?

Gewiss. Denn wir wollen, dass unsere Firma überlebt und wir dadurch all das realisieren können, was wir vorhaben. Im übrigen finde ich es auch gar nicht so schlimm, wenn man Geld verdient, besonders nicht, wenn man hart arbeitet. Ich bin ganz bestimmt kein Kommunist.

Im Konzert vorher hatten die Mothers of Invention fast nur instrumentale Musik gemacht, hatte Zappa auf den Text weitgehend verzichtet. Warum?

Weil ich immer die Musik mehr mochte als Wörter. Ich glaube, Wörter sind für Leute, die keine Musik hören können.

Aber die Wörter machten Ihr Image ...

Nur, weil die Leute meine Musik nicht verstanden haben.

Viele Leute werfen Ihnen vor, Sie würden nur noch das Unterhaltungsgeschäft betreiben und die Revolution verraten.

Ich kann ihren Standpunkt schon verstehen. Aber sie denken von der Revolution wie von einem simplen Karneval. Man stellt sich auf die Strasse, macht eine Menge Krach, trägt einige Zeichen und Plakate, provoziert, und dann kommt die Polizei, spritzt Tränengas, schlägt dich, jagt dich, sperrt dich ein. Oder du verteilst harte Flugblätter, auf denen steht, wann die Revolution nun wirklich beginnt. Aber all das bleibt bedeutungslos.

Weshalb?

Es löst kein Problem und es macht die Welt nicht besser. Ich glaube nicht, dass die Leute, die sich so revolutionär engagiert haben, genug Klugheit besitzen, über das Beste für die grösste Zahl von Leuten nachzudenken.

Welche Taktik ist nötig?

Der einzige erfolgreiche Weg ist, überall dort zu infiltrieren, wo deine Eltern versagt haben. Junge Leute mit neuem Bewusstsein müssen die Armee in filtrieren, die Regierung, die Massenmedien und, was auch sehr wichtig ist, sie müssen Lehrer werden. Das ist der beste Weg. Er gibt dir Einfluss auf die nächste Generation.

Winter 69

Einige Monate später habe ich ihn in Amougies, Belgien, beim Festival aktueller Musik, dem besten dieses Jahres, wieder getroffen. Kurz vorher hatte er bekanntgegeben, dass er mit den Mothers of Invention einige Zeit nicht mehr öffentlich auftreten werde. Warum?

Der wichtigste Grund dafür ist, dass ich zuwenig Zeit habe. Ich kann einfach all das, was ich tun möchte, nicht mehr schaffen, weil nur die Zeit fehlt.

Gibt es noch andere Gründe?

Ja. Die Mothers verdienten nicht genug Geld. Wir haben zwei Tourneen durch die USA gemacht und am Schluss Geld verloren. So geht es nicht, schliesslich haben einige von uns auch Familien.

Hatten Sie zu viele Leute in der Gruppe?

Genau. Andererseits waren wir nicht so populär, dass wir genug Geld verlangen konnten. Eine Gruppe, die Unterhaltungsmusik spielt, würde bei weitem mehr verdienen.

Und das Publikum hat Sie nicht verstanden?

Es wollte unterhalten werden und nicht neue Musik hören. In Europa gibt es ein ganz anderes Publikum, das unsere Musik besser versteht.

Gab es Reaktionen, als Sie Ihre Entscheidung bekanntgaben?

Kaum jemand kümmerte sich darum. So wichtig war unsere Gruppe nicht. Wenn die Beatles sich auflösten, das machte etwas aus.

Und Sie?

Mir machte es schon etwas aus. Aber das ist eine andere, eine lange Geschichte.


Other article based on the same interview is "Underground und Symphonie-Orchester: Frank Zappa", printed in Pop, November 1968.

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