Der Grosse Zappano

By Claus Böhm

Audio, May, 1988


Der einstige Bürgerschreck wollte sich schon in den Ruhestand verabschieden. Doch nun kommt er wieder auf Tour(en).

Er sieht aus wie ein Yuppie. Aber der modische Kurzhaarschnitt ist reine Äußerlichkeit. De facto ist Frank Zappa (47) — derzeit mit bläserverstärkter Elf-Mann-Band auf Tournee — ganz der Alte: ein Meister provokanter Posen, der Ironie und des Sarkasmus.

AUDIO: Sie haben Ihre älteren Werke lange nicht auf CD veröffentlicht. Warum?

Zappa: Nicht ich habe gezögert, sondern meine Plattenfirma. Die EMI besitzt die Rechte für Europa und hatte mehr Interesse daran, Duran Duran und andere große Acts rauszubringen als meine alten Platten.

AUDIO: Zählte Geld da mehr als Qualität?

Zappa: Das war keine künstlerische Entscheidung, sondern eine rein kommerzielle.

AUDIO: Sind Gruppen, denen es um künstlerische Freiheit geht, bei kleineren Plattenfirmen besser aufgehoben?

Zappa: Kreative Gruppen haben bei Großen wenig Chancen.

AUDIO: Fühlen Sie sich selbst, in Erinnerung an den alten Albumtitel, „Absolutely Free“?

Zappa: Vielleicht zu 80 bis 90 Prozent.

AUIMO: Und was ist mit dem Rest, wer oder was engt ein?

Zappa: Die einzigen Einschränkungen sind finanzieller Natur.

AUDIO: Die einzigen, die existieren, oder die einzigen, die Sie akzeptieren?

Zappa: Die einzigen, die es gibt.

AUDIO: Welche Projekte scheiterten bisher am Geld?

Zappa: Da gibt es einige, aber ich mag nicht ins Detail gehen.

AUDIO: Sind das beispielsweise symphonische Sachen, ähnlich „Boulez Conducts Zappa“?

Zappa: Ich bin mehr daran interessiert zu filmen. Und das ist wesentlich teurer, als eine Platte zu machen.

AUDIO: Was fasziniert den Musiker am Medium Film?

Zappa: Daß man der Musik Bilder und damit eine weitere Dimension hinzufügen kann.

AUDIO: Was wäre so ein Thema, das Sie reizt?

Zappa: Städtische Anthropologie

AUDIO: Was bitte?

Zappa: Ein Menschenforscher geht in den Dschungel, um zu sehen und zu verstehen, wie bestimmte Stämme leben. Aber auch in der modernen Stadt gibt es Stämme, voneinander abgeschottete Gruppen, die sich ungewöhnlich benehmen. Zum Beispiel hat ein Amerikaner Probleme zu verstehen, was ein Engländer am Fußball findet. Für jemand in Deutschland ist es unverständlich, daß Amerikaner einem Fernseh-Prediger Geld spenden. Das sind rituelle Stammes-Akte, weil nicht Individuen, sondern Gruppen so handeln.

AUDIO: Gibt es Verhaltensweisen, die sich Ihnen total verschließen?

Zappa: Eine Menge — aber nur, weil ich noch keine Zeit gefunden habe, sie zu studieren. Ich habe für mich selbst Antworten auf viele Verhaltensweisen gefunden, die mir nicht vertraut waren.

AUDIO: Reizt es Sie, andere davon zu überzeugen?

Zappa: Nein, denn es ist nicht mein Recht, sie zu verurteilen oder ändern zu wollen. Ich kann meine Meinung sagen. Leute, die Fernsehpredigern Geld überweisen, tun es, weil es sie glücklich macht. Warum sollte ich ihnen das wegnehmen? Oder anderen ihren Spaß am Fußball vermiesen? Wenn es sie glücklich macht, dann sollen sie es haben.

AUDIO: Haben Sie was gegen Fernsehpredigten?

Zappa: Ich unterscheide zwischen Opfern die Geld spenden, und den Evangelisten. Das sind Kriminelle, die gerichtlich belangt werden sollten.

AUDIO: Und wie fühlen Sie sich selbst — als häufiges Opfer der Zensur? 

Zappa: Sie haben es immer wieder versucht. Aber meine Botschaften sind noch immer durch die Maschen geschlüpft, auch wenn sie nur ein beschränktes Publikum fanden.

AUDIO: Ist das Interesse in Europa größer?

Zappa: Ja. Dieses Mal sind es 46 Konzerte, vom 9. April bis 9. Juni, mit vier neuen Leuten.

AUDIO: Wo holen Sie sich Ihre Musiker her?

Zappa: Ich bekomme Tapes, lade sie zu einer Probe ein. Jedes Mal, wenn wir auf Tour gehen, ist mindestens eine Stelle neu zu besetzen.

AUDIO: Auf der Bühne wirken Sie oft wie ein Dirigent. Ist das Ihre Zukunftsvision?

Zappa: Ich liebe es, tausend verschiedene Dinge zu tun. Und diesmal greife ich häufiger zur Gitarre, singe, aber dirigiere auch. Aber am liebsten spiele ich Gitarre.

AUDIO: Weil es das perfekte Werkzeug ist?

Zappa: Ich sehe die Gitarre nicht als Werkzeug. Für mich ist das mehr als ein Hobby.

AUDIO: Zappa als Amateur?

Zappa: Ich übe nicht. Ich spiele intuitiv. Und Glück gehört auch dazu.

AUDIO: Die richtige Saite im rechten Augenblick zupfen — mehr nicht?

Zappa: Genau das, es ist wie ein Lotteriespiel. Was ich spiele, ist nicht perfektioniert, es entsteht aus dem Augenblick heraus.

Die Tourdaten

 5.5 Dortmund. Westfalenhalle 2
 6.5 Hamburg. CCH
 9.5 München. Rudi-Sedlmayr-Halle
24.5 Stuttgart. Liederhalle
25.5 Mannheim. Mozartsaal
26.5 Fürth, Stadthalle

AUDIO: Gibt es dann Momente, wo Sie eine Kritik lesen und sich sagen: der liegt völlig daneben?

Zappa: Die Kritiken unserer US-Konzerte waren schlicht phantastisch, die besten, die wir hier je bekamen. Die Musiker haben es gelesen und sich jeden Tag gegenseitig auf die Schultern geklopft. Ich habe sie gewarnt: Gebt nichts drauf; eines Tages wird einer mal so übel danebenhauen, daß ihr Selbstmord begehen wollt.

AUDIO: Ist Frank Zappa heute leichter zu begreifen, kommerzieller geworden?

Zappa: Ich sehe selbst bei größter Phantasie nicht, daß wir kommerzieller geworden seien. Es liegt daran, daß es in den USA live keine Bläsergruppe gab, die mehr konnte, als hier und da ein paar Noten einstreuen. Ich habe eine Truppe zusammengestellt, in der die Bläser richtige Kompositionen spielen, mehr in Richtung Jazz, wie in „The Eric Dolphy Memorial Barbecue“. Und damit hab ich‘s wohl getroffen.

AUDIO: Ein neues Album heißt „Guitar“, eine neue CD- Serie „You Can‘t Do That On Stage Anymore“. Was können Sie auf der Bühne denn nicht mehr machen?

Zappa: Die meisten haben Maschinen, die die Musik machen und Bänder, von denen der Gesang kommt. Die Musiker tun so, als ob posieren und tanzen — wie MichaeI Jackson. 50 Prozent seiner Show kommen vom Band. Du kannst nicht mehr einfach auf die Bühne gehen und wirklich spielen...

AUDIO: Und was machen Sie selbst nicht mehr, ist etwa Obszönes passe?

Zappa: Oh nein, wir können alles tun, was wir wollen. Wir bekommen auch noch immer Geschenke aus dem Publikum und bauen die in die Show ein.

Die Platten

Die aktuellen Platten:

Best Of „You Can‘t Do That On Stage Anymore“ Intercord INT 962007 (2 LP) nur als LP)
You Can‘t Do That On Stage Anymore (6 Doppel-CDs), Vol I Interord INT 973708 (nur als CD)
Guitar Intercord INT 180 070 (2 L.Ps), 880 070 (2 CDs)
Does Humor Belong In Music EMI 7461882 (CD)
Francesco EMI 270256 1 (LP)
Frank Zappa Meets The Mothers Of Prevention EMI 240492 1 (LP), 790078 2 (CD)

Freak Out IRS 970701 (nur als CD)
Hot Rats IRS 970702 (nur als CD)
Jazz From Hell EMI 240673 1 (LP) 790079 2 (CD)
Joe‘s Garage EMI 790087 2 (CD)
The Man From Utopia EMI 260815 1 (LP), 790074 2 (CD)
The Perfect Stranger EMI 270153 1 (LP), 747125 2 (CD)
Cruising With Ruben And The Jets IRS 970704 (nur als CD)
Sheik Yerbouti EMI 260810 3 (2 LPs), 790076 2 (CD)
Ship Arriving Too Late To Save A Drowning Witch EMI 2608l4 1 (LP), 790074 2 (CD)
Shut Up ‘N‘ Play Yer Guitar EMI 79004 2 (CD)
Them Or Us EMI 240233 3 2 LPs, 790080 2 (CD)
ThingFish EMI 240294 3(3 LPs), 790081 2 (CD)
Tinsel Town Rebellion EMI 260808 3 (2 LPs), 790077 2 (CD)
Uncle Meat IRS 973703 (nur als Doppel-CD)
You Are What You Is EMI 260812 3 (2 LPs), 790075 2 (CD)

AUDIO: Stimmen Sie das Programm aufs Publikum ab?

Zappa: Das müssen wir. Die neuen Songs handeln alle von Dingen, die sich in Amerika abgespielt haben und ich mache mir Gedanken darüber, ob man das in Europa wohl versteht. Deshalb spielen wir mehr Instrumentalstücke. Es ist schade, daß viele die Texte nicht verstehen werden, denn die sind richtig lustig.

AUDIO: Sind Sie witziger, noch sarkastischer geworden?

Zappa: Ich bin mir treu geblieben.

AUDIO: Also muß man mit Überraschungen rechnen?

Zappa: Das ist ein Grund, warum ich immer noch im Geschäft bin.

AUDIO: Ihr Sohn Dweezil hat mit Heavy Metal Erfolg — dank dem Vater?

Zappa: Ich habe ihn nicht stilistisch beeinflußt, aber in der Art, wie er seine Arbeit macht. Ich kann seinem Weg folgen und ihn verstehen. Wir haben solche Songs ja auch mit meiner Band gespielt.

AUDIO: Gibt es überhaupt etwas, das Sie nie spielen würden?

Zappa: Ich garantiere, daß ich niemals eine Country & Western-Tour machen werde, mit Cowboymusik über Leute, die sich scheiden lassen, zuviel trinken, über Fernfahrer und Frauen mit blondgefärbten Haaren. Wir haben ein paar Songs in der Art im Programm, aber als Persiflage.

AUDIO: Frank Zappa zählt nach wie vor zur Klasse der Millionäre?

Zappa: Yeah.

AUDIO: Und wie fühlen Sie sich dabei?

Zappa: Nun, sicher nicht wie Dagobert Duck, der barfuß im Geldspeicher herumspaziert — das ist nicht mein Stil.

AUDIO: Was ist Ihr Stil?

Zappa: 14 bis 16 Stunden am Tag arbeiten. Wenn ich damit Geld verdiene, bin ich glücklich. Wenn nicht, dann arbeite ich eben weiter. Nur Reisen ist nicht mein Fall.

AUDIO: Warum dann diese Tournee, nach vier Jahren Bühnenabstinenz?

Zappa: Das hat viel mit Politik zu tun. In den USA steht die Präsidentenwahl an. Und bei allen Konzerten in Amerika haben wir die Besucher aufgefordert, sich in die Wahllisten einzutragen — denn nur der, der in Listen erfaßt ist, darf wirklich wählen. Ein Trick, um die Wahlen besser im Griff zu haben. Wir erreichen so zehn bis 25 Prozent der Konzertbesucher.

AUDIO: Was erwarten Sie von Europa?

Zappa: Egal, wohin wir auf dem Kontinent kommen, nichts funktioniert — außer in Deutschland. Da ist der Stekker in der richtigen Dose, die Bühne am richtigen Platz, alles ist sehr effizient, wir schätzen das.

AUDIO: Ist es schwierig, mit Ihnen auszukommen?

Zappa: Nein, wenn man Selbstdisziplin hat. Wenn die anderen ihre Arbeit ernst nehmen, kommen wir prima miteinander aus. Wenn nicht, dann sind sie meist nicht lange dabei.

AUDIO: Schmeißen Sie die dann raus?

Zappa: Ich habe Leute gefeuert. Aber die Band hat selbst Stolz genug. Wenn einer seinen Job nicht ordentlich macht, bekommt er von allen Druck — und verabschiedet sich ganz von selbst.

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