Alla Zappa

By Urban Gwerder

Jazz, November/December, 1974


3-DIMENSIONALES FARBENHÖREN VON 16Hz BIS 16000 Hz:

„Alla Zappa“

(TAKE TWO einer gigantischen Einführung zur Feier der ersten Dekade im Schaffen des FRANCIS VINCENT ZAPPA, Komponist und Oberhaupt eines zeitgenössischen elektrischen Orchesters und „rocking teenage“-Combos, bekannt als THE MOTHERS OF INVENTION)

von Urban Gwerder „el bigote“

 

Zoppa, Alla (ital.): Bezeichnung für einen Rhythmus, der eine kurze Note auf dem Beat einsetzt, gefolgt durch eine dreimal so lange danach; synonym für „Scotch Snap“. (Theodore Karp, Dictionary of Music) — Geradesogut könnte man jetzt sagen:

Zappa, Alla (ital.): Stetig ändernde Rhythmen und Tempi in einem grossangelegten, langfristig geplanten grossen Musikstück, konzipiert als absolutes Gesamtkunstwerk, das auf alle Arten in Teile zerlegt und anders wieder zusammengebaut werden kann: Synonym für „Gypsy Mutant Style“. (Tremendo Zark. Dictionary of Musical Freakery) — danach würde dann im Alphabet folgen: Zukunftsmusik (dt.) etc. Aber obacht, wir sind der Sache schon viel näher...

Der 1940 geborene, in Kalifornien als Sohn sizilianisch-griechischer Auswanderer aufgewachsene Frank Zappa kann als Künstler und als Persönlichkeit auf sehr verschiedene Arten gesehen werden. Das wird er auch, oft aber auf sehr „mage“-bedingte Weise, wobei meistens nicht einmal eines als Vorlage dient, zu dem er selber gewollt beigetragen hätte.

Vor allem für sehr viele junge Leute ist sein markanter, typischer Schnauzbart bereits eher ein Begriff, als diejenigen von Salvador Dali oder Groucho Marx... Ein Poster, das ihn mit ungekämmten langen Haaren nackt auf dem Klo sitzend präsentiert, ist derart populär geworden, dass es seit 1967 in Riesenauflagen die Spiesserstuben der westlichen Welt überschwemmt hat (Ironischer- weise war das von ihm selber nie so gewollt, und er hat zur Veröffentlichung als Plakat nie seine Zustimmung gegeben — geschweige denn je etwa einen Anteil erhalten; das Bild wurde geknipst als Illustration zu Texten aus seiner Feder für die englische Underground-Zeitung „International Times“ — das war die einzige gewünschte Verwendung davon.)... Viele Popkonsumenten sehen in ihm einen eher verwirrenden Intellektuellen, der mit autoritären Ambitionen mehr oder weniger ego-tripige „Bau-Elemente“-Collagenmusik macht... Für das Gros der Jazzfans ist er ein kommerzieller Popmusiker, von dem sich manchmal reden lohnt, wenn man zeigen will, dass man sich nicht nur im Jazz auskennt — besonders wenn zwischenhinein ein echt verbriefter „Jazzer“ in seiner Gruppe spielt... Und für die Anhänger „ernster“ (sei’s klassischer oder moderner) Musik ist er ein garstiger Rocker und Beatnik, oder schlichtweg einfach nicht vorhanden... Na und, was soll’s? Was ist er denn jetzt eigentlich? Obige Beispiele sind natürlich genereller Art, und sie zeigen höchstens, wie schlecht es mit der „Musikerziehung“ (und nicht nur dieser!) im Allgemeinen steht — und wieviel relativen Einfluss doch die vielen „Musikkritiker“ und „Popschreiber“ (eine Spezies, die generell nur Nutzniesser ist einer ganzen Kultur, zu der sie selber nichts beigetragen hat) haben, indem sie es sich zu leicht machen, oder sogar einfach zu dumm und arrogant sind. Zu Zappa’s Musik ist damit noch nichts gesagt.

Selbstverständlich gibt es da aber auch Ausnahmen. Von wenigen Leuten ist sein Werk schon früh als das erkannt worden, was es ist — wie es das schon immer gegeben hat in der wirklichen Avant-Garde (d.h. derjenigen, die sich selbst nicht als solche bezeichnet, und die schon längst wieder woanders ist, wenn sich „Avant-Garde“ einzubürgen beginnt). Sich Zappa’s Musik einmal richtig anzuhören wäre sowieso viel aufschlussreicher, als am durch rasche und daher oft oberflächliche Medienverbreitung geförderten Hörensagen teilzunehmen. Was, wenn Zappa eine Art Varèse oder Strawinsky von Jetzt wäre? Wie, wenn er sogar noch MEHR ist??

Der brillante amerikanische Musikkritiker (und wichtige Mitarbeiter des inzwischen eingegangenen „Jazz ± Pop“) Frank Kofsky schrieb schon, als Zappa’s Musik und die Auftritte der Mothers erst lokal bekannt waren: Ein Wort wird dem gerecht Genie! Damit kommt er der Sache wohl am nächsten, aber es ist auch schon fast wieder eine Einteilung. Am besten gebe ich vielleicht eine Beschreibung dessen, was Zappa macht und gemacht hat.

My Guitar Wants to Kill Your Mama

In der Tat kann man Frank Zappa sehen als eine Art Leonardo da Vinci der zeitgenössischen Musik, Mixed Media Explosion und Freak Kultur. Wie er das geworden ist hat erstaunlich früh angefangen, und sich kontinuierlich weiterentwickelt bis zu einem alchymistischen Prozess ohne absehbares Ende. Das sieht aber meist viel einfacher aus, ja oft eigentlich ganz selbstverständlich - was es ja auch sein sollte.

Mit 12 Jahren hat Zappa sein erstes Schlagzeug erhalten, und von da an in verschiedenen Rhythm & Blues-Gruppen (erst an der Schule, später als Broterwerb) gespielt, ab 1956 meistens als Gitarrist. Er war ein Fan des „schwarzen“ R&B in der Art von Johnny Otis, Muddy Waters, Lightning Slim, Howlin’ Wolf, Willie Mae Thornton, Joe Houston — das interessierte ihn mehr als alles andere, und er investierte sein ganzes Taschengeld und seine Freizeit darin. Während dieser Zeit „entdeckte“ er auch (dank einem obskuren Zeitungsartikel) den Komponisten Edgard Varèse, dessem Werk er fortan glühendes Interesse und Verehrung entgegenbrachte —ja, er liess nicht locker, bis er diesen sogar am Telefon sprechen konnte (Varèse wohnte in New York, und dieses Ferngespräch war Frank’s Wunsch zum 15. Geburtstag). Irgendwo hörte er dann einmal Arabische Musik, die ihm auf Anhieb gefiel. Ferner Strawinsky, Webern, Tibetanische und Indische Musik — das waren die Anreger, die seine ersten Kompositionen beeinflussen sollten (allen voran aber der zu Lebzeiten — 1883-1965 — so verkannte Varèse, den Zappa später bei verschiedensten Gelegenheiten musikalisch oder im Wort zitieren sollte ... und somit entscheidend mithalf, dessen Werk bekannter zu machen).

Während Zappa mit seinen Bands am liebsten R&B und Blues spielte, und seinen Spass hatte an Liedern im 50er-Jahre Stil (wie so längst vergessene Singles „Annie Had a Baby“, „Riot in Cell Block Number Nine“, „Rubber Biscuit“, „The Drunkard“, „Louie Louie“), schrieb er doch bis er etwa zwanzig war keine Songs, sondern Orchesterwerke und Kammermusik (eine kurze Zeit versuchte er es mit „serieller“ Musik, was ihm aber nicht zusagte, und ihn wieder zurückführte auf die „melodische“). Die allererste Komposition war ein Percussion-Stück namens „Mice“, geschrieben für einen Wettbewerb an der Schule. Dann hatte er Gelegenheit, die Musik für zwei Filme zu schreiben: für einen schundigen Western, „Run Home Slow“ (1959), und für eine ebenso wenig bekannte Burleske von Tim Carey, „The World’s Greatest Sinner“ (1960) — dies waren die ersten Male, wo Zappa seine Musik von Orchestern vorgeführt hören konnte. Musikalische Elemente und Zitate dieser Frühwerke tauchen dann in späteren Kompositionen wieder auf.

Noch an der Highschool demonstrierte Frank erstmals sein Interesse an „Mixed Media“: er fabrizierte in der Kunstklasse eine Art Vorläufer der Light Shows, indem er einen zehnminütigen Film-streifen einschichtete, jedes Bild einzeln bemalte und das Ganze mit einem Soundtrack klassischer Musik belegte. Ansonsten gab ihm aber die „Schulerziehung“ an sich kaum etwas mit auf den Weg. Er graduierte 1958 von der Highschool mit schlechteren Noten, als eigentlich verlangt war — weil sie froh gewesen wären, ihn los zu sein... Er besuchte dann noch zwei Harmonie-Kurse, und damit hat sichs. Vielleicht hat er von seinem Vater übernommen, dass selbständig lernen das Beste sei — jedenfalls ist er in allen Dingen von Anfang an ein Autodidakt geblieben. Er lernte aus Büchern, in Bibliotheken, und aus der Praxis: ausprobieren, selbermachen — und nicht sich auf Vor- gekautes und Empfohlenes verlassen. Ein wirklicher unabhängiger selbständiger Denker. In den Liner Notes zu seinem ersten Album „Freak Out“, bemerkt Zappa später: „Springt ab von der Schule bevor euer Geist verfault, weil er ständig unserem stümperhaften Erziehungs-System ausgesetzt wird. Vergesst die Matura und geht in die Bibliotheken euch selbst erziehen, wenn ihr etwas Grips habt.“ Immerhin tauchen in einer langen Liste von Leuten, die irgendwie zum Zustandekommen dieser Musik beigetragen hätten (und man solle ihnen dies bitte nicht vorwerfen...), zwei seiner Highschool-Lehrer auf (ebenfalls auf dem Umschlag von Freak Qut).

Andere Eindrücke dieser Zeit zeichnen sich ab. Die Zappas zogen oft um (Baltimore Md. — Monterey, Pomona, San Diego, Lancaster, Claremont, Cal.), und Frank wechselte zu oft die Schule, um viel Freunde zu gewinnen, oder mit Mädchen anbändeln zu können — das machte ihn etwas zum Einzelgänger. Diese Gefühle fanden Ausdruck in einer bis anhin unveröffentlichten „Rock-Oper“ (oder einem Vorläufer dessen, was man später so benennen sollte) namens „I Was a Teenage Maltshop“ — mit der halb-autobiografischen Hauptfigur Ned, the Mumbler und seiner Freundin Nelda... Mit seinem Schulkollegen in Lancaster, Don Van Vliet (heute bekannt als Captain Beefheart, ein anderer Künstler, der — vor allem von etwa 1965-70 — ganz aussergewöhnliche Musik gemacht hat), machte Zappa Aufnahmen davon, die er zehn Jahre später als Musical einer Schallplattenfirma (erfolglos) zu verkaufen versuchte. Die beiden planten auch einen Film, „Captain Beefheart Versus the Grunt People“, der aber nie realisiert wurde.

Teile dieses Frühwerkes finden sich später in seinen Alben...

Mit 20, um sein Brot zu verdienen — seine Kompositionen brachten ja nichts ein —, spielte Frank Cocktail-Musik in käsigen Bars (man stelle sich vor: schummriges Zeug la „Anniversary Waltz“ auf Verlangen, und mit Anzügen und öligen kurzen Haaren ausstaffiert wie ein Lackaffe!) — eine andere, vielleicht negative, aber wie sich zeigen sollte nützliche, musikalische Erfahrung. Ein paar Jahre danach rächt sich Zappa blendend dafür mit u.a. „America Drinks and Goes Home“ auf Absolutely Free. Gleichzeitig arbeitete er noch als Art Director für eine GlückwunschkartenFirma... aber nicht lange. 1963 erhält Zappa endlich seinen Anteil für die Musik zu „Run Home Slow“. und kann sich damit in Cucamonga (ein kleines spiessiges Kaff in Kalifornien) ein kleines Atelier/Aufnahmestudio kaufen. Eine fensterlose, oliv und türkis bemalte Hütte, die er mitsamt Inhalt und Schulden von Paul Buff übernahm — immerhin war eine Fünf-Spur-Maschine vorhanden, mit der man mono mischen konnte. Frank nannte es „Studio Z“, und lebte dort mit James Sherwood (einem Freund aus der Schule, der später als „Motorhead“ bei den Mothers spielte) und zwei Mädchen. Es entstanden Hunderte von Stunden von Bandaufnahmen. Auch wurden in diesem Studio mehrere obskure Singles produziert, bei denen Zappa sei’s als Produzent, Arrangeur, Schlagzeuger, Texter, Komponist oder Gitarrist mitwirkte für vergessene, kleine Labels wie „ Vigah!“, „Emmy“, „Donna“ oder „Original Sound“. Davon liess sich allerdings nicht leben — im Gegenteil —‚ und Frank spielte mit einem kleinen Combo, genannt „Muthers“ für mexikanisches Publikum in Go-Go-Bars. Man stelle sich vor: ein eher auffällig gekleidetes Trio (Bass, Schlagzeug, Gitarre) mit länglichen Haaren, das stundenlang Zeugs ä la „Midnight Hour“ spielen musste zu vier halbnackten Tänzerinnen in schwarzen. Netzstrümpfen... in vollgestopften Bars mit Polizisten als Sittenwächter an den Eingängen. Aber Zappa war es leid, nie seine eigene Musik spielen zu können, und erst noch trotzdem zu hungern dabei.

1964 zog Zappa um nach Los Angeles, das die Wiege der Mothers of Invention werden sollte, und dessen Lokalkolorit seinen Niederschlag in späteren Alben finden sollte. Von Roy Estrada übernahm er die „Soul Giants“, welche grad auf der Suche nach einem Leadgitarristen waren. Nachdem Saxofonist Dave Coronado — der zwar ein guter Musiker war, aber aus Sicherheitsgründen nur spielen wollte, was das Publikum wünschte — die Gruppe verlassen hatte, begannen sie, ihre eigenes — d.h. Zappa’s — Material einzuüben und damit ihr R&B-Repertoire zu erweitern. Sie versuchten es mit Jobs in den Clubs und Gogo Bars von L.A. und Umgebung. Ein Freund und erster Manager, Mark Cheka, half ihnen dabei.

You’re probably wondering why I’m here

Nach einem Versuch al „Captain Glasspack & His Magic Mufflers“ nannten sie sich schlicht THE MOTHERS. Frank Zappa’s langjähriges Instrument, die erste Band, welche seine Kompositionen vorführte, war geboren. Ihre anfängliche Besetzung: Frank Zappa (Leadgitarre und Gesang), Ray Collins (Gesang), Roy Estrada (Bass), Jimmy Carl Black (Schlagzeug),.

Zu der zeit gabs in L.A. viele Clubs und Cafés, in denen Bands auftreten konnten — nur, wenn sie nicht Pilzköpfe à la Beatles und ein ähnliches Repertoire aufzuweisen hatten, dann war es eher schwierig, bei Clubbesitzern und Publikum anzukommen… so hatten es die Mothers ziemlich schwer. Zwar liessen sie sich die Haare wachsen, hatte aber nach wie vor nichts dafür übrig, gewünschte Lieder getreulich nachzuspielen — ja Zappa ging sogar soweit, sein Publikum zu beschimpfen oder verulken, wenn es gängige Hits verlangte. Verschiedentlich wurden sie auch aus Clubs verbannt wegen öffentlicher Anwendung „unanständiger“ Wörter...

Doch nach Jahresfrist hatten die Mothers bei einem Teil des Publikums bereits ein notorisches Rénomé erlangt, und sie zogen all die Leute an, die etwas „Anderes“ hören wollten — und das bekamen sie. Provokative Songs wie „Who Are the Brain Police?“ und „Brown Shoes iDon’l Make It“ mit seinen komplizierten Wechseln waren schon im Programm. Nachdem verschiedene Musiker es bei den Mothers versucht hatten, aber keiner blieb, stiess schliesslich noch Elliot Ingber mit Rhythmusgitarre zu ihnen (dieser sollte später mit einer eigenen Band, „The Fraternity of Man“, und sphliesslich als „Winged Eel Fingerling“ in Beefheart’s „Magic Band“ bekannter werden).

Ausserdem waren für das Environment ihrer Auftritte noch die Tänzer wichtlg: Vito, ein über fünfzigjähriger vitaler Bildhauer und „Vater“ der L.A. Szene mit seiner unbändigen Horde erster Freaks — deren ausgefallenster Carl Franzoni war, der — zwar ohne, ein Instrument zu spielen — selber eine Band, „The Wild Flowers“, hatte, und dem Zappa das Lied „Hungry Freaks, Daddy“ widmete: Der ist freaky bis in seine Zehennäge … sie alle gehörten zur ungewöhnlichen Ambiance der Mothers. Immer noch harte Zeiten, und von Schallplattenvertrag oder so etwas noch nicht die Rede. „Folk-Rock“ mit dem „elektrischen“ Bob Dylan und den Byrds an der Spitze, Psychedelia und die Untergrund-Presse fingen an, in L.A. Fuss zu fassen... in New York begannen sich die Nachzügler der Beats und ersten East Coast Freaks bemerkbar zu machen, allen voran die „Fugs“... es war etwas im tun. Aber Trumpf waren noch immer die Beatles und ihr Gefolge (was zwar immerhin schon ein Anfang war, aber nur einer), und Leute wie John Coltrane wurden davon glatt übertönt — das sollte sich bald ändern, das Spektrum noch weiter geöffnet werden.

Die Mothers spielten in „Cantor’s Delicatessen“ und im „Whiskey“, wo sie im November ’65 bei ihrem xten Auftritt von Tom Wilson und Herb Cohen „entdeckt“ wurden. Eine garstige Band, langhaarig, ungekämmt, völlig verrückt gekleidet, mit einem sehr freakigen Gefolge, das überall herum tanzte, mit sonderbarer, provokativer Musik und eigenartigen, unflätigen Texten und ungewohntem Gebaren — dazu waren sie — für Popbusiness Masstäbe — „alt“ (durchschnittlich 30 Jahre; Zappa war der Jüngste). Hässlichkeit und Provokation waren geradezu ihr (gewolltes) Image geworden, und stellte alles in den Schatten, was das Rock-Environment sonst zu bieten hatte. Verglichen damit war alles andere brav. Sie wurden von Musik-Geschäftsleuten mit dem Label „No Commercial Potential“ (etwa: keine Aussichten) bedacht, was ihnen, trotz notorischer Berühmt/Berüchtigtheit noch jahrelang anhaften sollte — ja sogar heute noch manchmal durchschimmert. Herb Cohen dachte da anders. Schon seit einiger Zeit hatte er Folkmusiker gemanagt und in L.A. zwei Caféhäuser, das „Unicorn“ und „Cosmo Alley“, gegründet, wo unter anderen sein Freund, der geniale Komödiant und Philosoph Lenny Bruce, 1959 seinen ersten Auftritt hatte. Später traten auch die Mothers mit Lenny im gleichen Programm auf. Cohen war schon immer an Formen freien Ausdrucks interessiert, und was Zappa mit den Mothers machte, gefiel ihm gerade deswegen. Er übernahm von Mark Cheka deren Management, und ist seither ihr hartnäckiger und erfolgreicher „Master of Bizniz“ geblieben. Tom Wilson, der frühere Produzent von Bob Dylan (der unter anderem suggerierte, dass Dylan elektrisch spielen solle), verschaffte ihnen den ersten Plattenvertrag mit MGM, für die er damals arbeitete — er setzte sich sehr für die Mothers ein, besonders weil deren Verhältnis zu MGM/Verve von Anfang an unter einem schlechten Stern stand.

Im ersten Drittel von 1966 konnte an den Aufnahmen für das erste Album gearbeitet werden. Dabei geschahen recht ungewöhnliche Dinge: zu einer der letzten Sessionen lud Frank über Hundert Freunde ins Studio ein, die zu den Aufnahmen beitragen konnten, was immer ihnen grad Spass machte. „Trouble Coming Every Day“ (ein Lied über die Rassenunruhen in Watts) und „Help I’m A Rock“ sahen das Studio in eine überschäumende, aber von Zappa sorgfältig choreographierte Freak-Party verwandelt… eine Horde bunt oder fast nicht gekleideter Wilde tanzte, lärmte und sang, dass es den Tontechnikern (die sich ja fast nur Sportshemden und kurze Haare gewöhnt waren) unheimlich wurde… einige Cellisten der L.A. Philharmoniker hatten einen Part, und einer sagte zu seinen Kollegen mitten im Tohuwabohu der Aufnahme: He, wir werden wirklich spielen müssen... dieser Beatnik hat doch tatsächlich Musik geschrieben.

Das Doppelalbum „Freak Out“ erschien im Sommer. Ein konzipiertes Meisterwerk — noch nicht mit den heutigen technischen Aufnahmemöglichkeiten realisiert, aber einmalig in allem: so etwas hatte man in der „Popmusik“ noch nie gehört, der Umschlag war genau so seltsam, und erst die „Liner Notes“!... Man wusste nicht so recht, wohin damit, und trotzdem erreichte es — eigentlich nur durch Mund-zu Mund Propaganda — eine baldige Hunderttausender-Auflage, wurde der weitverbreitetste „Geheimtip“ und krempelte die ganze Rock-Kultur und zeitgenössische Musik einschneidend um. (Das tönt zwar wie eine Behauptung, ist aber nicht etwa einfach nur meine Meinung davon, sondern kann ganz genau nach gewiesen werden anhand der „Musikgeschichte“ der letzten 10 Jahre — man muss nur verfolgen, was vor, gleichzeitig und nach Freak Out an Schallplatten erschienen ist.)

AUF PERSÖNLICHER EBENE MEINT „FREAKING OUT“ SICH SO KREATIV ALS NUR MÖGLICH INNERHALB SEINES ENVIRONMENTALEN RAHMENS INDIVIDUELL AUSZUDRÜCKEN... FREAK OUT STOFF IST WAS ICH GERN ALS FREIE MUSIK BESCHREIBE - SIE VERWENDET ELEMENTE AUS VERSCHIEDENSTEN QUELLEN... (aus den Liner Notes zu Freak Out)

Die Mothers waren nun nicht mehr aus der „Szene“ wegzudenken, besonders in L.A., wo die erste grosse Underground-Zeitung „Los Angeles Free Press“ eine stetig wachsende Community zusammenhielt und informierte... Zappa wurde mit seinen eigenwilligen Ansichten eine Zeit lang zu einer Art Sprecher der Bewegung, und mehr oder weniger regelmässig erschienen von ihm gestaltete „Newsletters“ über aktuelle Ereignisse im Zusammenhang mit den Mothers in der L.A. Freep. Diese organisierte auch ein grossartig angelegtes Geburtstagsfestival, GUAMBO (= Great Underground Arts Masked Ball & Orgy), das von den Mothers dominiert wurde. In der Folge gaben die Mothers ganze Serien von Konzertveranstaltungen im Shrine Auditorium in Santa Monica — „Freak Out!“-Konzerte mit Lightshows, Tanz & allerlei Happenings. Frank Zappa’s Werk hatte öffentlich angefangen und war nun nicht mehr aufzuhalten.

Für Zappa waren es zusätzliche Mittel, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf bestimmte Dinge zu lenken, und es für die Musik wach zu behalten. Oft findet man kaum einen Akkord, der hässlich genug ist, um auszudrücken, was man sagen will. Frank betonte aber auch, dass seine Texte (obwohl ihnen dies oft unterschoben wurde) nicht politische, sondern soziologische Kommentare zu Gesellschaft und Zeitgeschehen seien. Und solche liess er regnen mit scharfer Zunge — wer konnte noch sicher sein, ob nicht „Brown Shoes Don ‘t Make It“, „Plastic People“ oder „Who Needs the Peace Corps“ einem selbst betrafen? Das gab jedenfalls zu denken.

„... Sei ein Wichser, geh zur Arbeit,
mach deinen Job, und mach ihn recht,
das Leben ist ein Fernseh-Fest heut abend...
liebst du das?
hassest du es?
‘s ist so, wie du’s gemacht hast...
Wow!“
oder
„Ich ging durch den Perrückenshop
tanzte im Fillmore
Ich bin völlig verladen
bin Hippie und bin trippy
bin mein eigener Zigeuner
Ich werd eine Woche bleiben
und die Filzläuse einfangen
Dann nehm ich den Bus nach Hause
Ich bin zwar nur ein Hänger
doch vergebt es mir
weil ich verladen bin...

das waren klarsichtige harte Brocken mitten im „Love-Sommer“ 1967! In diese Zeit fällt auch die Premiere von „King Kong“, eins der musikalischen Meisterwerke Zappa’s, inspiriert durch den gleichnamigen Monsterfllm... „Dieses Lied heisst KING KONG. Es ist die Geschichte eines riesigen Gorillas, der im Dschungel lebte. Es ging ihm gut bis ein paar Amerikaner kamen, und dachten, sie würden ihn mit heim nehmen. Sie brachten ihn nach den Vereinigten Staaten, und benutzten ihn, um damit Geld zu verdienen. Dann brachten sie ihn um.“ King Kong füllt in verschiedenen Versionen eine ganze Seite des Doppelalbums „Uncle Meat“, und gehört noch heute zum Live- Repertoire. Ein sehr visuelles Stück Musik. das viel Raum für jede Art Soli lässt. Zappa hat aber nicht gern, wenn man es als „Jazz“ bezeichnet. Mit Recht behält er sich vor, dass nicht alles, was Improvisationen enthält, grad Jazz sein müsse.

Totales Musiktheater

Für diese Konzerte und die Aufnahmen des zweiten Albums „Absolutely Free“ waren mehr Musiker dazugekommen: Don Preston mit Tastatur-Instrumenten, Bunk Gardner mit Saxofonen, Klarinetten und silbrigem Haar, Jim „Motorhead“ Sherwood als Roadie und Saxofonist. und Billy Mundi als zweiter Schlagzeuger zu Jim Black (einem Cherokee, dessen Indianername James Inkinish ist). Ende 1967 stossen Ian Underwood (Holzblasinstrumente und Klavier) und an Stelle von Mundi Arthur Tripp III (Schlagzeug. Vibraphon, Marimba, Tympani) zu den Mothers — beide hatten Musik studiert: lan war ein vielversprechender Jazzmusiker, und Art war Spezialist für schwierige moderne Musik (u.a. John Cage). 9 Mütter mit zusammen mindestens 30 Instrumenten, die sie gut beherrschten. Um von ihrer Musik leben zu können, führte Zappa seine Band nach New York, wo sie anderthalb Jahre lang fast täglich im etwa 300plätzigen Garrick Theater auftraten.

Jetzt kam erst richtig zur Geltung, was für ein Environment-Künstler und Meister von Mixed Media Frank Zappa war. Die Show nannte sich „Absolutely Free“ oder „Pigs & Repugnant“, war eigentlich jeden Tag wieder anders, und bezog das Publikum so sehr mit ein, wie es vorher noch nie geschehen war, und wie es später erst vom „Living Theater“ gemacht werden sollte. Andere, kommerzielle Nachahmer davon, wie etwa das „long hair tribal love rock musical HAIR“ sind blasser Hühnerschiss im Vergleich. Das Monster war losgelassen! Jeder Abend war sozusagen „massgeschneidert“ auf sein Publikum — was an Ausstrahlung und Geschehnissen vorhanden war, wurde von Zappa umgehend in die Schau eingebaut: Hochzeiten fanden auf der Bühne statt; Marinesoldaten demonstrierten an einer grossen Puppe, wie man die Menschen in Vietnam kaputtmachte; eine ausgestopfte Giraffe spritzte Schlagrahm ins Publikum, wenn Ray ihren Schwanz rieb; der Lichttechniker warf Gurken, Eier, Salamis und andere Dinge auf die Bühne; andere Leute spielten manchmal mit oder wollten einfach ins Mikrofon kreischen und sich von Frank mit Coca Cola anspucken lassen... all diese Dinge nannte Zappa „Scheusshchkeiten“ (atrocities), und sagte davon: MUSIK IST STETS EIN KOMMENTAR ZUR GESELLSCHAFT — UND BESTIMMT SIND DIE SCHEUSSLICHKEITEN AUF DER BÜHNE RECHT MILDE. VERGLICHEN MIT DENJENIGEN, DIE UNSERE REGIERUNG AUF UNSERE KOSTEN LOSLÄSST.

In diese Zeit fallen auch die ersten Europa-Tourneen — eine erste, kleinere im Herbst 67 nach England, Holland, Skandinavien; die zweite, umfangreicher, im Herbst 68 nach England, Deutschland, Frankreich, Holland, Dänemark —‚ die von nun an regelmässig, meistens gegen Ende Jahr, stattfanden. Die Mothers, als Schock angekündigt, fanden in Europa ein interessiertes und verständiges Publikum, das sich aus allen Schichten zusammensetzte, und ihnen richtiggehend fast „ehrfurchtsvoll“ zuhörte. Einiges verstanden die Europäer nicht genau, weil es allzu spezifisch „intern“ amerikanisch war vieles verstanden sie wesentlich besser als das amerikanische Publikum, weil Zappa’s Background und Spektrum eben sehr universell waren (und sind). Nur in Berlin wurden die Mothers von einer Horde kurzsichtiger „radikaler“ Pseudo-polit-Radaubrüder belästigt, die — angetan vom „Stunkmacherimage“ der Mothers — Zappa für eine ihrer idiotischen „Aktionen“ missbrauchen wollten... und dieser ablehnte. Nach verschiedenen sinnlosen Tätlichkeiten endete es damit, dass die PolitHeinis „Ho-ho-ho-Chi-Minh!“ brüllten, ohne zu merken, dass die Mothers die adäquate Begleitmusik dazu längst in einen Nazimarsch verwandelt hatten… fürwahr der beste Kommentar. Man muss Frank Zappa im Bezug zu seiner/unserer Zeit sehen, und einbeziehen, wann er was gemacht hat — dann wird klar, dass er immer ein Stück der Zeit voraus ist.
FZ: ICH NEHME AN, ICH HABE DIESELBEN BAUMATERIALIEN WIE ALLE ANDERN DIE ETWAS DARAUS MACHEN. HÖCHSTENS IHRE ART DIESES MATERIAL ZU BETRACHTEN STAMMT VIELLEICHT AUS EINER EINGESCHRÄNKTEREN SICHT. ZEIT UND JENE WELLEN STEHEN JEDEM ZUR VERFÜGUNG, DER SIE ANWENDEN WILL.

Bizarres Gemüse?

Eines der frühen „Schlüsselstücke“ in Zappa’s Werk, und bezeichnend für seine „Philosophie“, ist „Call Any Vegetable“ — ein Song, der über Jahre im Live-Repertoire der Mothers auftauchte, mit einem Mittel-Part, der jeweils spontan auf Ort, Leute und Reaktion abgestimmt und variiert wurde. Eine Möglichkeit, um auf die Situation des jeweiligen Publikums einzugehen, und dazu einen Kommentar zu liefern... „Ruf irgend ein Gemüse an und die Chancen sind gut, dass das Gemüse dir erwidern wird“… und Zappa war überzeugt davon, dass sein Publikum so wunderfitzig war wie er selber, und erwartete dementsprechenden Widerhall.

Bemerkenswert waren die Konzerte um Mitte 1969. Zu den bisherigen Mothers kam noch Bunk’s Bruder, der Trompeter Buzz Gardner,.. mit diesem 9köpfigen Ensemble (Ray Collins war wieder einmal mehr nicht dabei) spielten sie Electric Chamber Musik, vorwiegend instrumentale, fliessend ineinander gehende Blocks mit viel visueller Choreographie. Zu einem dieser Elektrischen Kammermusik Konzerte, dem letzten im Londoner „Royal Albert Hall“ (woraus die Mothers später, während den Dreharbeiten zu „200 Motels“, verbannt wurden, mit der abstrusen offiziellen Behauptung, ihre Texte seien obszön...), erklärte Frank, dieser Auftritt sei wie eine Probe oder eine Recording Session anzusehen — sie würden genau so vorgehen, mit allen Unterbrüchen, Änderungen, Wiederholungen, etc. Und wirklich, so geschah es auch. Das war sehr aufschlussreich, und erlaubte ungewohnten Einblick in Zappa’s Arbeitsweise. Ausserdem war der Anlass ausgefüllt mit ungewöhnlichem und sprühendem musikalischen Humor und spontanen Einfällen. An einer Stelle kletterte Don Preston die Balustrade hoch, um von einem hochsitzartig angebrachten Platz die königlichen Orgelpfeifen zu spielen... meisterhaft übrigens, und erst noch lustig anzusehen, weil er sich bewegte wie eine Kreuzung zwischen affenartigem Monster und hingebungsvoll orgelndem Pfarrer. Ausserdem war Don der Elektroniker und Alchymist der Gruppe — an seinen Instrumenten hatte er noch ein selbstgebautes Gerät angebracht, das bei bestimmten Tönen Funken und Blitze zwischen zwei Antennen hin und herspringen liess.

Trotzdem die Mothers musikalisch und aufwandmässig auf einem Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere standen, kam bald die traurige Nachricht ihrer Auflösung. Zappa hatte zu dem Zeitpunkt im Lager der ((Gegen-Kultur“ einen solchen Grad von Popularität erlangt, dass vor den Präsidentschafts-Wahlen in Amerika Karten verteilt wurden mit der Aufschrift: „ZAPPA WILL BE FRANK - FRANK ZAPPA FOR PRESIDENT“; schon ein Jahr vorher wurde er von „Life“ um einen grossangelegten Artikel über die Funktion der Rockmusik in der Gesellschaft gebeten (das brillante Resultat erschien unter dem Titel „The Oracle Has lt All Psyched Out“, Life, 28. Juni 1968); und er fühlte sich derart in seinem Element, dass er sagen konnte: Meine Träume sind nur durch die Grösse meines Bankkontos eingeschränkt. Damit war wohl deren Realisation gemeint, und obwohl der Ausspruch einen ironischen Unterton hat, war gerade diese Feststellung einer der Gründe, die zur Auflösung der erweiterten ursprünglichen MOTHERS OF INVENTION führte. Trotzdem so viel von ihnen geredet wurde, hatten die Mothers zuwenig Arbeit, um davon leben zu können (einige von ihnen hatten Familien, worunter Jim Black mit fünf Kindern); Zappa hatte die Mittel nicht, sie aus eigenem Sack zu entlöhnen, und von der ersten Plattenfirma MGM wurden sie um ihre Honorare betrogen... auch war es für Frank eine Plackerei geworden, für so kleine Ergebnisse so viel Energie aufzuwenden in endlosen mühsamen Proben. In seiner Presseerklärung dazu („Whatever happened to the Mothers of Invention...“) äussert Zappa unter anderem:

Die Mothers of Invention, berüchtigtes und widerwärtiges „rocking teen combo“, geben keine Konzerte mehr. Es ist möglich, dass später, wenn das Publikum das veröffentlichte Werk der Gruppe gut aufgenommen und verstanden hat, die Mothers wieder als Gruppe auftreten werden... 1964 wurde eine Gruppe mit dem Namen The Mothers gegründet. 1966 machten sie eine Platte, die eine musikalische Revolution startete. Die Mütter erfanden die Untergrund-Musik. Sie erfanden auch das aufklappbare Rock-Album und das Konzept, aus einem Rock-Album ein totales Musikstück zu machen. Mit ihren Forschungen und Experimenten auf vielen Ebenen musikalischer Stile und Medien zeigten sie Dutzenden von anderen Gruppen den Weg (inklusive den Beatles und Stones). Die Mothers setzten neue Richtlinien für Auftritte. Mit Aussagen in reiner Musikalität, theatralischer Präsentation, formalem Konzept und schierer Absurdität demonstrierte diese eine garstige Band der Musikindustrie, dass es tatsächlich möglich war, die Aufführung elektrischer Musik zu einem gültigen künstlerischen Ausdruck zu machen. Die Mothers waren die erste elektrische Grossformation. Sie entwickelten die Anwendung verstärkter und/oder elektronisch abgeänderter Holzblasinstrumente... alles von Piccolo bis Basson. Sie waren die ersten, welche das Wah-wah-Pedal für Gitarre, Hörner und elektrische Tastatur-Instrumente einsetzten. Sie legten einige theoretische Grundlagen, welche die Art der kommerziell gehandhabten elektro-musikalischen Kniffe beeinflussten.

Die Mothers brachten es fertig, fremdartige Zeiteinheiten und bizarre harmonische Stimmungen mit so subtiler Ungezwungenheit zu spielen, dass mancher glaubte, alles geschehe im 4/4-Takt mit „teenage beat“ darunter. Durch die Anwendung von Prozeduren, die normalerweise der zeitgenössischen „seriösen“ Musik zugeschrieben werden (ungewöhnliche Schlagzeugtechniken, elektronische Musik, die Anwendung von Tönen in Blocks, Strängen, Schichten und Dünsten), brachten es die Mothers fertig, die Aufmerksamkeit vieler junger Leute auf die Werke einiger zeitgenössischer Komponisten zu lenken...

Unterdessen war aber auch Bizarre schon gegründet worden, erst als kreatives Büro, um Werbung und Anzeigen selber zu gestalten und kontrollieren (MGM wollte nichts mit Untergrundpresse und dergleichen zu tun haben — aber Zappa wusste genau, wie er sein potentielles Publikum am besten erreichen konnte: in Untergrund-Zeitungen und Comixheften plaziert, waren die Anzeigen und Berichte von Zappa und Calvin Schenkel so aussergewöhnlich gestaltet, dass sie genau das Interesse derjenigen weckten, die dann auch die Musik der Mothers hören wollten); dann, zusammen mit „Straight“, als von Cohen und Zappa verwaltete eigene Plattenlabels, die via Reprise vertrieben wurden. Ihre ersten Zappa-Alben waren „ Uncle Meat“ und „Hot Rats“. Endlich war Zappa die desinteressierte und unfähige Firma MGM/Verve losgeworden! MGM hatte nicht nur den Innenumschlag von Freak Out abgeändert und aus dem Konzept gerissen; sich geweigert, die Texte von Absolutely Free mit der Platte zu liefern, so dass Zappa gezwungen war, selbständig ein dazugehöriges „Libretto“ zu veröffentlichen, welches man bei den „United Mutations“ (eine Art Fanclub/Informationsservice) bestellen konnte; Texte von We’re Only in it for the Money aus den Aufnahmen zensuriert und somit auch den musikalischen Ablauf beschnitten; sich mit Auszahlungen unkorrekt bis betrügerisch verhalten... ja sie hat sogar bis heute nicht aufgehört, das alte Material der Mothers in x-verschieden zusammengestellten irrelevanten und aus dem Zusammenhang gerissenen Sammelalben zu verwursteln…

Mit Bizarre und Straight konnte nun Zappa selber Kontrolle über alle seine Produktionen ausüben. „Grad was die Welt braucht: eine andere Plattenfirma“... da erschienen nicht nur Platten von Zappa und den Mothers, sondern auch andere, nicht minder interessante „Statements“ in Form von soziologischen und musikalischen Dokumenten, für die Frank — sei’s als Produzent oder Herausgeber — viel Zeit und Energie aufwandte. Die wichtigsten Veröffentlichungen waren:

AN EVENING WITH WILD MAN FISCHER (Bizarre/Reprise 6332), ein absolut einmaliges soziologisch/musikalisches Dokument mit Larry Fischer, der — verschiedentlich in Heilanstalten versorgt — für einen Fünfziger in den Strassen von L.A. seine Lieder singt —

GTO’S - PERMANENT DAMAGE (Straight/Reprise 6390), die aussergewöhnliche Welt einer handvoll Mädchen um Zappa und die L.A. Freaks, aus dem lokalen Environment herausgenommen um etwas von ihrer Farbe zu verbreiten —

CAPTAIN BEEFHEART AND BIS MAGIC BAND: TROUT MASK REPLICA (Straight/Reprise 2027), wahrscheinlich Don Van Vliet’s Meisterwerk, in völliger Freiheit produziert –

LORD BUCKLEY, A MOST IMMACULATELY HIP ARISTOCRAT (Siraight/Reprise 6389), unveröffentlichte Bänder des grossartigen Humoristen der 50er Jahre. Richard Buckley, der König des „Mauljazz“ –

LENNY BRUCE, THE BERKELEY CONCERT (Bizarre/Reprise 6329), ein vollständiger Auftritt des genialen Komödianten und Denkers, der seiner Zeit ein schönes Stück voraus war —

Andere Pläne Zappa’s, die dann aber nicht verwirklicht werden konnten, schlossen ein unter anderem: ein weiteres soziologisch/musikalisches Dokument mit einem Mann namens „Crazy Gerry“; eine Dokumentation mit Aussagen, Interviews etc. zum zweiten Kennedy-Mord; wissenschaftliche Aufnahmen von Gesängen der Walfische (später auf einem anderen Label erschienen). Ausserdem erschienen im Hause Cohen/Zappa auch die ersten beiden Platten von Alice Cooper, und Tim Buckley wechselte von Elektra auf Straight, wo er seither geblieben ist.

Allerdings brachten auch all diese Produkte kein Geld ein oft das Gegenteil — und so konnte der als Film projektierte (und teilweise schon gefilmte) „Uncle Meat“ nur als „Soundtrack“ realisiert werden… das Filmmaterial liegt bei Stapeln anderer, aus finanziellen Gründen nie veröffentlichter Filme, Bänder und Projekte in Zappa’s Arbeitsraum.

Aber auch ohne Band war Frank andauernd mit Musik beschäftigt. Es erschienen zwei Alben mit Live-Aufnahmen der Mothers (das „of Invention“ trugen sie ja eigentlich nur gelegentlich, weil damals die alte Firma Angst hatte vor der möglichen Allusion „Motherfuckers“ wenn Mothers allein stand...), Burnt Weeny Sandwich und Weasels Ripped My Flesh, und zwei Zappa „Solo“ Alben, Hot Rats und Chunga’s Revenge. Gegen Ende 69 tauchte Zappa auf in Amougie anlässlich eines grossen Musik-Festivals, wo er als Präsentator fungieren sollte — er löste das, indem er mit den diversen Gruppen einfach mitspielte, unter anderem mit Archie Shepp, Captain Beefheart und Pink Floyd (welch letztere dann allerdings gehörig ins Schwimmen gerieten, weil sie auf so etwas nicht gefasst waren...). In den USA hielt er einige Vorträge über Musik, Untergrund-Kultur und seine Erfahrungen, und liess sich mit den Zuhörern in Gespräche darüber ein; er arrangierte seine Musik für eine Platte von Jean-Luc Ponty, auf der er auch als Gast-Gitarrist auftrat (KING KONG — JEAN-LUC PONTY PLAYS THE MUSIC OF FRANK ZAPPA — World Pacific ST-201 72); und fand sogar noch Zeit, als Sprecher aufzutreten in einer amerikanischen Aufführung von Igor Strawinsky’s „Histoire du Soldat“...

Der Aufbau der Konzerte mit all ihren musikalischen, sprachlichen, theatralischen und visuellen Elemente war sorgfältig „choreographiert“ — so waren es aber auch die Aufnahmen im Studio. Dazu Beispiele: (Zappa über „America Drinks“ in einem Interview von Frank Kofsky für Jazz+Pop, 1967) ... Habt ihr den Kerl mitgekriegt, der sich hinter dem Mikrofon vor- und rückwärts wiegt, wie die das so tun? Etwas, was ich an unserer Musik richtig gut finde, ist, dass die Texte so sorgfältig eingesetzt sind. Man stelle sich vor, man müsste sich „America Drinks And Goes Home“ tausend Mal anhören das würde einem vorerst einmal verrückt machen. Aber vielleicht würde der dümmliche durchschnittliche Laie, der Musik sowieso hasst, dabei herausfinden, wie perfekt es inszeniert ist. Diese Worte! Diese Dinge sind so sorgfältig konstruiert, dass es mir das Herz bricht, wenn die Leute nichts merken, und die verschiedenen Ebenen, die ich eingebaut habe, einfach nicht sehen. Es basiert auf derselben unterbewussten Formel, wie sie auch all die sentimentalen Heinis benutzen: II—V—I Akkordabläufe mit wechselnden Tonarten. Normalerweise modulieren die einen Song in einem Zyklus von Quinten. Aber wir wechseln Tonarten und modulieren, und es wird sonderbar. Es ist etwas los in all den Wechseln. Und die Melodie, wenn man die als normales Stück durchspielen würde, ist ein interessantes Lied. Aber mit den blöden, dummen Worten und der Szenerie, Registrierkassen und all das... wir verbrachten Stunden damit, dies zusammenzusetzen. Unser Manager Herbie Cohen spielte Registrierkasse. Wir probten den Lärm des Publikums. Die Aufnahmen der Gespräche selber, die hier nur unterspielt sind, sind lustig da sagen sie Dinge wie „Ich hab mir ‘nen neuen Ford Mustang angeschafft“, und die Mädchen sagen „Sally, kommst du mit mir in die Toilette?“, du kennst das Zeug. Leider kann man’s auf der Platte nicht hören.

Aber das ist lang nicht alles, was darin geschieht es ist technisch vorläufig noch unmöglich, diesen Song richtig wiederzugeben. Ich zähle mal auf was alles drin vorkommt: da ist mal das Lied an sich. Und die Melodie, welche eine Parodie ist auf alle diese Tonartwechsel. Der Text, der eine Parodie aller derartigen Texte ist. Der gesungene Vortrag dieses Textes, der gleichzeitig Parodie dieser Vortragsweise ist. Und dann der improvisierte Dialog, welcher jedermanns abschliessenden Käse parodiert. Dazu die Geräusche aus dem Hintergrund, Gläser, Registrierkasse usw., die alle dort mitten drin sind. Das Gemurmel der Menge, das wir sorgfältig programmierten, wie Choreographie. Uber all dem aber das kann man nicht mehr hören ist noch ein Streit im Gange.

Wir hatten dazu die Leute in zwei Räumlichkeiten aufgeteilt. Im Hauptstudio sassen zehn Leute um ein Mikrofon, die sagten Sätze auf Stichwort, auf der einen Seite die Registrierkasse und auf der anderen die Gläser mit einem Mikrofon. An der Seite in einer Sprechzelle hatten wir Ray Collins, Jim Black und Roy Estrada mit ihrer Nummer. Bunk Gardner, der versucht, sich zwei Mädchen aufzureissen. „What’s a girl like you doing in a place like this?“ — all dieses Zeugs. Jim ist ein Indianer, der den Mexikaner Ray verprügeln will. Sie fangen an als gute Kumpel, trinken Bier zusammen... bis der Indianer den Mexikaner anschuldigt, ihn mit seiner Frau zu hintergehen, was sie dann mit den Fäusten austragen. Währenddessen sagen die Mädchen dem anderen Kerl, er soll sich dünnmachen, weil er zu aufdringlich wird... etwa „What kind of girls do you think we are?“. Und alles das passiert da drin, aber man kann’s nicht hören. Man müsste es auf zehn Kanälen hören können, so dass man im Raum herumspazieren könnte und sehen, wo alles herkommt.

Und Tom Wilson, der für die ersten drei Alben, „Freak Out“, „Absolutely Free“ und „ We’re Only in it for the Money“ gearbeitet hatte, erinnert sich:
„Zappa ist ein gewissenhafter Kunsthandwerker, und irgendwie ist es sehr schade, dass die Kunst des Aufnehmens noch nicht soweit entwickelt ist, dass man wirklich vollständig alles was er tut hören kann. Denn manchmal geht ein Guitar-Part einfach unter, dabei mag er vielleicht drei verschieden tönende Gitarren übereinander haben, die alle dasselbe spielen. Auf jenen Alben arbeitete er selten mit mehr als sechs bis acht Leuten. Auf Freak Out verwandte er viel Chorus, was eigentlich immer Frank war, der sich selber wieder überspielte. Viel von dem brauchte zur Fertigstellung volle drei Wochen.“

Dazu ist noch interessant zu wissen, dass „Uncle Meat“ und „Cruising with Ruben and the Jets“, zwei scheinbar so gegensätzliche Alben, zur gleichen Zeit aufgenommen wurden (Oktober 67 bis Februar 68) — Uncle Meat, fast ausschliesslich instrumental, und mit „reinerer, seriöserer“ Musik als bisher; und Ruben and the Jets, gleichzeitig Parodie und Hommage an den Rhythm and Blues der 50er Jahre lang bevor die „Nostalgie-Welle)) eingesetzt hatte. Die Umschlagrückseite zierte ein öliges Highschool-Fotoportrait von Frank, alias Ruben Sano. Sorgfältig ineinandergeschichtete archetypische Klischees machten die Lieder viel komplexer als man es vom Hören hätte meinen können. Frank: Ein Lied, zum Beispiel, zitiert gleichzeitig aus Hintergrund-Chören gesungen von den „Moonglows“ und aus dem Eröffnungsthema des „Sacre du Printemps“ — nämlich „Fountain of Love“. Es ist im Ausklang, aber niemand hörte das bisher als Sacre du Printemps, weil ohne die Band zu rechnen etwa fünf verschiedene Ebenen musikalischer Begleitung drin sind. Da sind all diese Vocal Parts, die durchwegs Klischees sind, und die wir sorgfältig auf ihren nostalgischen Wert hin aussuchten, um sie. dann in dieses Lied einzubauen mit den blöd sinnigsten Worten der Welt... Ich habe diese Art Musik wirklich gern, ich bin vernarrt in eng- harmonischen Gruppengesang Oo-Wah Rock and Roll... ich mag das wirklich.

Der Grosse Ton

Da tauchte erstmals der Gedanke auf, als grosses audio-visuelles Dokument 12 Schallplatten unveröffentlichter Mothers-Aufnahmen in ihrem historischen Zusammenhang zu veröffentlichen, einschliesslich erster Auftritte, Proben, Gespräche, Verhältnis Sprache-Musik und diverser Live-Geschehnisse — um damit mehr Klarheit in die Struktur von Frank Zappa’s Gesamtkunstwerk zu bringen (da dessen veröffentlichtes Werk ja — bis heute — vergleichweise nur die Spitze eines Eisberges zeigt). Der Titel wäre gewesen: No Commercial Potential — was sich nur allzusehr bewahrheitet hat ... es ist bis heute nie erschienen, obwohl man verschiedenste Produktionsformen durchdacht hat (in Teillieferungen gekürzt a 3 mal 3 Platten in je einer Kassette mit Buch, oder im Abonnement via einen Plattenclub oder so ähnlich). Aus ökonomischen Gründen ist das Projekt verschoben, aber nicht aufgehoben worden bis zu einem günstigeren Zeitpunkt — am historischen Wert des Inhaltes ändert dies nichts.

Stichwort: Gesamtkunstwerk. Wem es nicht selber beim Anhören verschiedener Zappa-Alben langsam dämmerte, der konnte es wiederholt in Interviews hören, dass Zappa von seinem Werk sagt, es sei alles ein Ganzes, ja sogar, dass er das alles geplant hätte, und dass er seine eigenen Vorstellungen darüber hat, aus was für Elementen alles geschaffen ist. In einem Gespräch mit Jerry Hopkins (Rolling Stone, 20. Juli 1968) äussert Frank auf die Frage, wie er über seine bisher gemachten Alben denke: Es ist alles ein Album. Alles Material dieser Platten ist in organischem Bezug zueinander. Wenn ich alle OriginalBandaufnahmen davon hätte, und diese mit einer Rasierklinge in Stücke schneiden und in verschiedener Anordnung wieder zusammensetzen würde, gäbe das immer noch ein Musikstück, das man sich anhören könnte. Dann könnte ich die Klinge nehmen, es in Stücke schneiden und auf andere Art wieder zusammenstellen, und es würde immer noch einen Sinn ergeben. Ich könnte dies auf zwanzig Arien tun. Das Material ist entschieden in Zusammenhang.

OOder anders zu Barry Hansen (Circular, 29. April 1974): Wenn man ein Tonband nimmt und es schnell abspielt, kann man die Bass-Linie eine Oktave höher hören. Genauso, wenn man die ganze Ausbeute dessen, was wir tun, nehmen und mit übersetzter Geschwindigkeit abspielen könnte, dann wäre es einem möglich zu sehen, dass sich innerhalb davon verschiedene Marko-Melodien und Marko-Rhythmen abspielen.

Der englische Untergrund-Schriftsteller Miles sschreibt unter anderem zu Zappa’s Arbeitsweise (Hot Raz Times, No. 3): „Die Tonbänder sind Zappa’s Sudelblock, sein musikalischer Sprachschatz, sein Archiv, seine Skizzenbücher und ständige Quelle neuen Materials, da er sie zerschneidet und in neuer Folge wieder ordnet, um auf diese Weise neue musikalische Verbindungen und Nuancen von Rhythmus und Inhalt zu schaffen. Er ist ein Collagen-Künstler der mit der Zeit arbeitet, indem er die Dynamik manipuliert, wie ein visueller Künstler Farbe und Struktur ändern würde. Zappa bewegt die Spannungen, ImageInhalt und -Ladung durch beschleunigen, verbinden und verschwinden lassen. Frank Zappa ist wie die Alchymisten — die wiederholten jeweils einen Prozess über Monate, ja manchmal Jahre, bis die Materialien mit denen sie arbeiteten veränderlich wurden und neue Eigenschaften entwickelten, um sich endlich eines Tages in den Stein der Wei sen zu verwandeln. Frank arbeitet mit einem Set von Themen, denselben alten die er immer benutzt (er gibt ihnen nur hin und wieder neue Namen, um euch durcheinander zu bringen). Er bearbeitet sie immer noch, schleicht sie an aus neuen Blickwinkeln, überrascht sie mit fremdartigen Orchestration und sonderbaren Zeit-Beschreibungen, zerfetzt sie in Stücke auf seinem Bearbeitungsblock — der rasende Rasiermessermann, verstrickt in Saiten und strobefiziert durch beschleunigte Bänder sie sind ihre eigenen archetypischen Bestandteile geworden. „War das nicht Status Back Baby grad vorhin?“ — sie sind genug überladen worden um stark wie Metall zu sein; sie können eine Behandlung mit 50er Jahre Rock’n’Roll oder einen polyrhythmischen Zusammenbruch aushalten, und immer noch ankommen!

Zappa ist der Meister der Image-Überfülle! … Miles beschreibt dann auch noch, wie die eigenen Erinnerungen daran, unter was für Umständen man ein Stück von Zappa zum ersten Mal gehört hat („Ich war da grad mit jenem Mädchen und ..“),noch dazukommen, wenn man das Thema an anderer Stelle abgeändert wieder hört — wirklich, Zappa spielt mit „Zeit“ auf aller Arten.

MEINE ARBEIT IST WAS ICH TUE, NICHT WAS ICH TUN MUSS. ICH MAG EBEN MUSIK, ICH MAG ES MUSIK ZU SPIELEN, UND HABE ES GERN, ALLE ASPEKTE DAVON ZU KONTROLLIEREN - SO, DASS ES MIR MÖGLICH WIRD, MEINE EIGENE KONZEPTION VERSCHIEDENSTER EX-QUELLEN ZU ÜBERBLICKEN!

VVorwiegend zitiert Zappa aber sich selber, in musikalischen, sprachlichen und visuellen Bestandteilen, die er immer wieder neu in Beziehung setzt — so ist zum Beispiel „The Duke of Prunes“ eine Melodie aus „Run Home Slow“; „Status Back Baby“ ein Stück aus „I Was a Teenage Maltshop“ usw. — es würde zu weit führen, alles aufzuzählen (was wahrscheinlich sowieso nur versuchsweise möglich wäre). Frank bemerkte einmal ironisch vor einem Konzert: Wir werden Leitmotiven wie verrückt!

IIn einem 1971 verfertigten umfangreichen Presskit erklärt Zappa seinen „Plan, Vielleicht der einmaligste Aspekt im Werk der Mothers ist der geplante Zusammenhang in der Makrostruktur der Arbeit dieser Gruppe. Da ist, und war schon immer, eine bewusste Kontrolle über die thematischen und strukturellen Elemente, die sich über jedes Album, jeden Auftritt und jedes Interview erstreckt ... Die grundlegenden Entwürfe wurden 1 962-63 ausgeführt. Vorbereitendes Experimentieren anfangs und Mitte 1964. Der Aufbau des Projekt/Objekts begann Ende 1964. Das Werk ist immer noch im Fortschreiten begrjffen ... Ich bin sicher ihr seht ein, dass totale Kontrolle weder möglich noch wünschenswert ist (das nimmt nur den Spass an der Sache). Das Projekt/Objekt enthält Pläne und Nicht-Pläne, auch präzise berechnete Veranstaltungs-Strukturen, welche dazu angelegt sind, den Mechanismus des Schicksals und die dadurch begünstigten und damit verbundenen Unwahrscheinlichkeiten anzupassen und einzubeziehen ... Das Projekt/Objekt (Oder vielleicht mögt ihr Ereignis/Organismus besser) schliesst ein: jedwedes zugängliche visuelle Medium, Bewusstsein jedes Teilnehmers (Publikum inbegriffen), alle Wahrnehmungsmängel. Gott (gemeint als Energie), den grossen Ton (als universelles grundlegendes Baumaterial) und andere Dinge. Wir machen eine besondere Kunst in einer träumerfeindlichen Umgebung... Was ich da zu beschreiben versuche, ist die Art von Aufmerksamkeit, die wir jedem Text widmen, jeder Melodie, dem Arrangement, der Improvisation, der Sequenzen dieser Elemente auf einem Album, der Kunst auf dem Umschlag (die eine Erweiterung des musikalischen Materials ist), der Auswahl dessen, was aufgenommen,’ veröffentlicht und/ oder während eines Konzertes dargestellt wird, dem Zusammenhang oder Kontrast des Materials von Album zu Album, usw. usw. alle diese detaillierten Aspekte sind ein Teil der Gross- Struktur oder des Gerüstes vom Werk. Die kleineren Details schliessen nicht nur die Inhalte der Werk-Struktur ein, sondern geben dem Werk wegen der chronologischen Ausführung eine „Form“, in abstraktem Sinne... Ich möchte gerne eure Aufmerksamkeit auf einen der zur Zeit hauptsächlichsten Grundsätze der Philosophie unserer Gruppe richten:

ES IST, TROTZ ALLER GEGENTEILIGEN AUSSAGEN. THEORETISCH MÖGLICH, „HEAVY“ ZU SEIN, UND DENNOCH SINN FÜR HUMOR ZU HABEN.

Und eine andere Regel, nach der sich unsere Arbeit richtet:

EEINER DA DRAUSSEN IM PUBLIKUM WEISS, WAS WIR TUN, UND DIESE PERSON GEHT VÖLLIG WEG DAMIT, WEIT ÜBER IHR WILDESTES BEGRIFFSVERMÖGEN HINAUS.

Um dies alles ausführen zu können, hat sich Zappa ein Arsenal von Werkzeugen zurechtgelegt, mit denen er komponiert/erschafft und ausführt/darstellt, besser als es sich die Elekronik träumen liesse: Feder (damit schreibt er Texte und Noten etc.), Rasierklinge (um Bandaufnahmen zu zerschneiden und neu zusammenzusetzen), Handsignale (damit kann er das Orchester dirigieren, zu jedem möglichen Wechsel veranlassen, Teile oder Melodien bezeichnen, Soli suggerieren und choreographische Bewegung ins Ganze bringen), Instant-Antennen (mit denen er Ausstrahlung, Erlebnisse und Situationen aufnimmt und gleich umsetzt und einbaut) und Musikinstrument (was nicht nur meint was er selbst spielt, sondern auch seine jeweiligen Bandmitglieder) — auf diese Weise kann er sein Gesamtkunstwerk ständig kontrollieren, ändern, entstehen lassen, und er ist nicht limitiert auf eine einmal verfasste Form davon, im Gegenteil: dies erlaubt ihm, direkt live zu komponieren!

NNatürlich braucht es dazu eine Band, die imstande ist, das ganze Repertoire zu lernen, alle Handzeichen zu kennen, ohne Schwierigkeiten die kompliziertesten Tempo- und Takt-Wechsel zu bewältigen, möglichst Partituren zu lesen und erst noch persönliches musikalisches Können beizutragen — etwas was die jeweiligen Mothers zum vielseitigsten und fähigsten Ensemble der ganzen zeitgenössischen Musik macht.

Zappa hat einen sicheren, natürlichen — und daher eigenartigen — „Kunstgeschmack“ — das zeigt sich in der Auswahl der Künstler, die den visuellen Teil seines Werkes gestalten helfen. Befreundete Künstler wie David McMacken und Neon Park haben Plattenumschläge geschaffen — allen voran, und seit den frühesten Tagen der M.O.I., ist Zappa’s Lieblingskünstler Calvin Schenkel der verantwortliche Grafik-Ingenieur... von ihm stammen die meisten Plattenumschläge, Annoncen, Plakate, Buchgestaltungen etc. (seit Zappa 1967 aufgehört hat, dies in erster Linie selber zu tun), auch hat er eine fantastische Trickfilmsequenz geschaffen für „200 Motels“. Calvin Schenkel’s Werk ist so aussergewöhnlich, dass es eine Würdigung für sich beanspruchen würde.

Andere wichtige Multi-Media-Elemente in Frank’s Universum sind: die Sprache. Um 1955/56 hatte er angefangen, Science-Fiction und Pachuco-Humor-artige Stories zu schreiben; später dann kontinuerlich Songtexte, Sprechtexte und Szenarios und Dialoge zu grösseren Werken wie „Maltshop“, „Uncle Meat“, „200 Motels“, „Billy the Mountain“, „The Adventures of Greggery Peccary“ und dem Science-Fiction-Musical „Hunchentoot“, das jetzt in diesem Jahr anlässlich der aktuellen Tourneen erstmals teilweise aufgeführt wird. Seine Liedertexte sieht er aber (trotz gegenteiliger Ansichten) nicht etwa als Poesie, und er sagt von ihnen, dass sie eine Art Reportagen seien —ja, überall dort wo es sich nicht um reine Fantasieprodukte handelte, hält er sehr daran fest, dass es (so unwahrscheinlich dies manchmal scheint) sich um wahre Begebenheiten handelt. Seine phonetisch/grammatikalische Schreibweise ist äusserste unkonventionell und erfinderisch; er handhabt die Sprache „anarchistisch,,, was sie wieder farbiger und interessanter macht. Der musikalische Einsatz davon ist sehr vielseitig: er benutzt sie als Sprechstimme, als eigenartig phrasierter Gesang, als Töne und Geräusche, sowie als Instrumente oder Live-Dokument (à la Telefongespräche etc.) in der Art wie es in der „Musique concrète“ üblich ist.

Der Film. Zappa schiesst Filme seit 1958 — 8 mm + Video —, und hat früh damit experimentiert, Spulen mehrmals zu belichten, besondere Optiken in die Kamera einzubauen, etc. Unter anderem hat er jede Menge Mothers-Dokumente aus allen Zeiten selber gefilmt — alles Material, das für spätere Filme benutzt werden kann. Augenblicklich arbeitet er an einem abendfüllenden Trickfilm in eigener Regie. Sein 1971 dank United Artists realisierter Film „200 Motels“, ein surrealistisches Dokument über die Mothers (das wiederum einen Aufsatz für sich beanspruchen würde), hat erstmals eine neue Technik angewendet, nämlich alles mit Video aufzunehmen und dann für Kino auf 35mm zu transponieren. Ausserdem wurde das ganze Material innerhalb von 56 Stunden (!) aufgenommen.

Wissenschaft ((hohum). Als Junge interessierte sich Frank intensiv für Chemie, und probierte allerhand Explosionen aus. Er meint, er hätte geradesogut Wissenschaftler werden können — was er ja jetzt eigentlich auch geworden ist, auf andere Art. Eins der Dinge, woran er in seinem Labor bastelt. ist eine Maschine die man mit Zeichnungen „füttern“ kann, und die dann die entsprechende Musik von sich geben soll — eine Möglichkeit, Musik zu zeichnen. Das Gerät sei schon recht weit entwickelt. Natürlich ist Frank auch ständig an der Erweiterung von Instrumenten und dem Einsatz neuer oder ungewohnter Musikinstrumente interessiert (besonders hat es ihm der Sound des griechischen Buzuki angetan ... er findet es töne so, wie er manchmal Gitarre spielt).

Man sieht, ein hart arbeitender Mann, „36 Stunden pro Tag kreativ — die extra 12 für seinen Zeitplan von einem anderen Planeten“, der noch dazu sagt, er führe kein gespaltenes Dasein, ER SEI SEIN WERK, sei da mitten drin. Er scheint das sehr ernst zu nehmen und gleichzeitig nicht, denn er sagt auch: Ich denke es ist wirklich tragisch, wenn die Leute alles so ernsthaft nehmen. Es ist so absurd, irgendetwas tatsächlich ernst zu nehmen... Ich nehme einen ehrlichen Anlauf dazu, nicht alles ernst zu nehmen: diese Haltung habe ich angenommen, als ich etwa 18 war. Ich meine, was soll’s, wenn man s genau betrachtet, was steckt eigentlich dahinter? Zu leben ist schon so ulkig.

DDas ist ein Standpunkt, den auch in ähnlicher Form andere Philosophen, Freidenker, Humoristen und Künstler (meist alle, in einem) vertreten haben, darunter Alfred Jarry, der Vater von „Ubu“ mit seiner ‘Pataphysik...

DAS LEBEN IST ABSURD, WOHLVERSTANDEN, ABER DAS IST VÖLLIG BANAL, UND ES IST GROTESK, ES ERNST ZU NEHMEN. — DER PATAPHYSIKER AKZEPTIERT DIE FUNDAMENTALE ABSURDITÄT VON ALLEM KOMMENTARLOS WIE EINE NATÜRLICHE ANGELEGENHEIT. (Collge de ‘Pataphysique)

Zappa: Was soll man denn sonst machen, etwa an einer Tankstelle arbeiten?

Er ist sein eigener Zen-Meister. Man kann FZ’s Werk mögen oder nicht — aber schlecht finden kann man es nicht. Auch zu sagen, er sei autoritär (weil er Mitwirkende in seinem Projekt/Objekt einsetzt wie ein Puppenspieler), ist naiv wie könnte ein derartiges absolutes Gesamtkunstwerk anders gehandhabt werden?

Uff! Das war Lektion 1 der Theorie-Stunde, Boys und Girls, jetzt wieder auf in den Zirkus!

lt’s so fucking great to be alive!

Am 15. Mai 1970 sagte Zappa: „Hit it, Zubin!“, was insofern denkwürdig war, als es ein Konzert von Frank Zappa & The Mothers of Invention und Zubin Mehta & The Los Angeles Philharmonie Orchestra einleitete. Im Rahmen der Contempo 70 Konzerte wurde an diesem Abend Musik aus 200 Motels aufgeführt — ein Ereignis, auf das Frank lange gewartet hatte! Eine andere Überraschung für Zappa: im Publikum befanden sich die beiden Ex-Turtles Sänger Mark Volman und Howard Kaylan — sie gratulierten Frank, und man kam auf die Idee, wieder eine Mothers-Gruppe auf die Beine zu stellen (diejenigen, welche mit Mehta spielten, waren nur provisorisch für diesen Abend beisammen). Mit diesen beiden hochtalentierten Singstimmen und Clowns, plus Aynsley Dunbar (Schlagzeug), Ian Underwood (Tasteninstrumente, Saxofone, Klarinetten, Flöten), George Duke (Tasteninstrumente, Posaune) und Jeff Simmons (Bass, Gesang) gabs zwei lustige Mothers-Jahre. 1971 kamen an die Stelle von Simmons Jim Pons, ebenfalls Ex-Turtle; und für Duke — vormals Canonball Adderley — wieder Don Preston (Orgel, Mini-Moog). Diese Besetzungen waren hervorragend geeignet für Vaudeville-artige lange Stories wie 200 Motels und Billy the Mountain — wie früher Ray Collins und Don Preston, waren die beiden Sänger (später dann bekannt als Flo & Eddie) Spezialisten für bizarren Humor à la magische Tricks, die dann nicht funktionieren usw. Zu ihrem Repertoire gehörte auch „Sofa“, ein Epos über Gott der, um sich zu zerstreuen, einen Pornofilm dreht (und das alles auf deutsch gesungen!); und „obszöne“ Prachtsstücke wie „Penis Dimension“ und „Do You Like My New Car?“ — das war eine eindeutige Stärke von Kaylan und Volman, sie brachten einem immer wieder zum Tränenlachen manchmal parodierten sie, was sie doch schon so oft aufführten, und übertrieben richtig… überraschten sich gegenseitig auf der Bühner mit spontanen Einfällen und „inside“ Humor — auch hatten sie eine Nonsense-Nummer, die sie immer wieder abwandelten: die „Sansini-Brothers“, mit Tusch und allem drum und dran. Mit dieser Gruppe wurde auch der Film 200 Motels gedreht (Frank sagt, er wisse, dass es zu dem Zeitpunkt etwa 200 gewesen seien, er sammle nämlich die Zimmer- schlüssel...) und zwei einschneidende Unfälle erlebt: im Dezember brannte anlässlich eines Mothers-Konzerts in Montreux das ganze Gebäude inklusive Anlage und Instrumente der Band ab (die Mothers bliebenn auf der Bühne, bis der Saal fast leer war, und Frank dirigierte das Publikum wie der Kapitän eines sinkenden Schiffes, damit keine Panik entstand und sich die 3000 Leute aus der Flammenhölle retten konnten), und zwei Wochen später wurde Frank in London während eines Konzertes im Rainbow Theater von einem Maniak angegriffen und in den Orchestergraben geworfen...

Während fast einem Jahr bleibt Frank wegen der erheblichen Verletzungen an den Rollstuhl gefesselt, nimmt so die beiden „jazzartigeren“ Alben Waka/Jawaka und The Grand Wazoo auf, um dann Ende 72 mit einem neuen Streich zu überraschen: mit einem 20-köpfigen elektrischen Grossorchester, dem die besten L. A. Sessionmusiker angehören, unternimmt er eine Konzertreise mit 8 Auftritten (5 davon in Europa). Waren doch die verschiedenen Mothers of Invention schon immer Tabubrecher in allen Bereichen gewesen, so bricht er jetzt grad noch eines: in für Pop-Publikum völlig ungewohnter Weise tritt Zappa als Dirigent mit Taktstock auf, und seine Leute sitzen mehr oder weniger unbeweglich vor beleuchteten hölzernen Notenständern. Auch das gespielte Material ist völlig neu, und wird mit Begeisterung aufgenommen. Zur Abwechslung praktisch keine Texte, sondern „reine“ Musik mit weniger elektronischen-, dafür eher mehr Jazz- und Symphonie-Elementen, und einer ausgebauten Bläsersektion. Man wird gespannt auf Kommendes, und es kommt!

Unzählige Musiker aller Sparten haben schon zu irgendeinem Zeitpunkt in den Mothers oder auf Frank’s Platten mitgespielt, darunter solche, die vorher oder nachher in einer anderen Gruppe (manchmal einer eigenen) waren, solche die da und dort mitspielten, und solche, die von nirgendwo auftauchten und wieder verschwanden. R&B-Musiker wie Ray Collins (The Penguins und andere Gruppen); Rockmusiker wie Aynsley Dunbar (vorher mit John Mayall, und seiner Formation The Aynsley Dunbar Retaliation); Sessionmusiker wie John Guerin und Max Benett (jetzt in Joni Mitchell’s L. A. Express), und Philharmoniker (London, Los Angeles); Bluesmusiker wie Don „Sugarcane“ Harris und Jack Bruce (Ex-Cream); Jazzmusiker wie Jean-Luc Ponty, Ralph Humphrey (Ex-Don Ellis), Gary Barone oder Buell Neidlinger; Elektroniker wie Don Preston (der zwischenhinein Musik machte für das Ballet von Meredith Monk, oder mitwirkt auf Carla Bley’s Escalator Over the Hill) — um nur ein paar wenige anzuführen. Insgesamt schon in die Hunderte von Mitwirkenden, und mindestens 11 deutlich unterscheidbare verschiedene Besetzungen der MOTHERS OF INVENTION garnieren den Geburtstagskuchen (1964—74)! Und immer waren es die richtigen Leute für die entsprechende Musik...

Was aber allem die Krone aufsetzen sollte, die vielfältigste und fähigste Variante, wahrscheinlich die absolut besten zeitgenössischen Musikformationen, waren die letzten beiden Gruppen:

1973 — FZ ((guitar, vocals, tympanie, dialogue, choreography, big note, inside jokes, conceptual continuity), Ian Underwood (winds, synthesizer), Ruth Underwood (electric percussion, first Iady), Jean-Luc Ponty (electric violins), George Duke (various keyboards), Bruce Fowler (trombones), Tom Fowler (bass) & Ralph Humphrey (drums);

1974 - FZ, Ralph Humphrey, Bruce Fowler, Tom Fowler, Walt Fowler (der dritte Bruder, trumpet & keyboards), Napoleon Murphy Brock (sax, vocals), Chester Thompson (additional drums), Jeff Simmons (rhythm guitar, vocals, theatrics) & Don Preston (der zwischenhinein seine eigene Gruppe „Ogo Moto“ hatte, synthesizer, monster)...

Sie erinnern mich von der Ausstrahlung her an die Mothers von 69 mit Electric Chamber Music … sie spielen (und können) alles vom knistrigen Blues über kosmische Symphonie, in die Knochen fahrenden Boogie, zauberhafte archaische Märchenmusik, Jazz von dem man seit Coltrane nur geträumt hat, peitschenden Rock der zwickt wie eine heissgelaufene Hexe, fantasiekitzelnde Stories, umwerfenden Klanghumor bis zur erfindungsreichsten Elektronik die man sich denken kann — alles mehrschichtig, voller Wechsel, und mit der Leichtigkeit und schalkhaften Selbstverständlichkeit wie… eben ein ROCKING TEENAGE COMBO (schu-bi-du-bi!). Wie eigentlich alle Mothers es waren sind bescheiden, natürlich, ständig zu Spässen aufgelegt, und von Starkult ist gar nichts zu spüren — was sie grad noch einmal sympathischer macht. Musik muss eine unheimliche Kraft sein. Wie Bill Graham einmal ankündigte:

Everybody’s relatives: the Mothers!

Sehr wahr, denn jeder hat eine Mutter — und wer sich dazu Zappa erkoren hat, der ist sicher nicht in schlechten Händen (zumindest die Ohren)
Letztes Jahr haben Zappa und Cohen Bizarre und Straight zusammengelegt zur völlig unabhängigen Plattenfirma DiscReet, und darauf bisher zwei LP’s von Zappas veröffentlicht: „Over-Nite Sensation“ und „Apostrophe (´)“, beides Studio-Alben. Apostrophe ist eines der schönsten veröffentlichten Werke von Frank, und — nach 10 Jahren hat er’s geschafft: auch das erfolgreichste. Aber er ruht nicht auf dem Gipfel aus. Am Muttertag dieses Jahres gaben die Mothers ein Konzert (eines in einer grösseren Tournee), wo Frank anlässlich des Geburtstages eine viertelstündige Ansprache hielt, und die Band eine Serie aus der Zeit von Freak Out spielte — die aufsteigende Spirale hat sich über der ersten Dekade geschlossen, und Frank Zappa hat bereits den Apostroph darangesetzt. Er könnte sich jetzt für die nächsten 10 Jahre in sein geheimes Labor zurückziehen und nur mit seinem schon bestehenden Material arbeiten und sich mit seiner Frau und seinen drei Kindern vergnügen... aber nein, Frank ist sein Werk, und sein Vergnügen ist „out there“ — ein geborener Abenteurer. So wird er mit seinen Müttern im September/Oktober wieder mit einem neuen heissen Programm nach Europa und in die Schweiz (yesyesyesy) kommen. Bis dahin könnte man sich seine Alben einmal richtig anhören und rätseln, wieviel Finger die rechte Hand eines Mädchens hat ... 5? ...
4? ... 6?

Interviewer: „But do you think anyone can ever really be free?“
Frank: „Weil, if you can’t be free... at least you can be cheap.“ PICABUH!

Outro

Nebst mir selber für unermüdliches/vergnügliches Sammeln und Dokumentieren seit 1966, was ein regelrechtes kregles „Zapparchiv“ ergeben hat (Hilfe! Kein Fanclub! Auch nicht zu verwechseln mit der Johanna-Spyri-Stiftung, bitte...’s ist nicht subventioniert), danke ich für Informationen vor allem Miles, Frank Kofsky, David Walley, Herb Cohen & Discreet, Frank und Mothers in aller Welt. Für die beiden übersetzten Liedertexte gilt: Copyright by Frank Zappa Music, Inc. — im übrigen: Copyright by Zark & die zitierten Autoren. Jetzt das Werkverzeichnis:

FREAK OUT - Mothers - Doppelalbum - MGM/Verve V6-5005-2 (am.)
ABSOLUTELY FREE - Mothers - Verve V6- 5013-X (am.)
LUMPY GRAVY - Zappa - Verve V6-8 741 (am.)
WE’RE ONLY IN IT FOR THE MONEY
- Mothers - Verve V6-5045-X (am.)
CRUISING WITH RUBEN AND THE JETS
- Mothers - Verve V6-5055-X (am.)
MOTHERMANIA - Mothers (Sampler) - Verve V6-5068-X (am.)

— diese Ausgaben müssen in Amerika oder England bestellt werden, weil sich die deutsche Vertretung (Polydor) völlig desinteressiert hat, Originalausgaben zugänglich zu machen... sämtliche von dieser Firma zusammengestellten Sammelplatten mit anderen als den hier angeführten Titeln sollten auf keinen Fall gekauft werden — sie haben kaum noch etwas mit Zappa’s Werk zu tun, und er selber distanziert sich deutlich davon!

— Erst seit Bizarre/Discreet, im Vertrieb von WEA/Musikvertrieb, sind auch in Europa Originalausgaben gewährleistet:

UNCLE MEAT - Mothers - Doppelalbum - Bizarre/Reprise 2024/1-2 (dt.)
HOT RATS
- Zappa Rep 44078 (dt.)
BURNT WEENY SANDWICH - Mothers - Rep 44083 (dt.)
WEASELS RIPPED MY FLESH
- Mothers - RS 2028 (dt.)
CHUNGA’S REVENGE
- Zappa — RS 2030 (dt.)
MOTHERS/FILLMORE JUNE 1971 - Mothers - Rep 44150 (dt.)
200 MOTELS - Mothers - Doppelalbum - United Artists UAS 9956 (am.)
JUST ANOTHER BAND FROM L. A. - Mothers — Rep 44179 (dt.)
WAKAJJAWAKA - HOT RATS - Zappa - Rep 44203 (dt.)
THE GRAND WAZOO - Mothers -Rep 44 209 (dt.)
OVER-NITE SENSATION
- Mothers - Discreet/WB DIS 41000 (dt.)
APOSTROPHE (‘)
- Zappa - DIS 59201 Y(dt.) DIS 2592010 (quad).

Angekündigt für diesen Herbst ist ein Live Doppelalbum mit neuem Material: ZAPPA/MOTHERS ROXY AND ELSEWHERE. — Singles gab es mehr als ein Dutzend, aber alle sind nicht mehr erhältlich. Die einzigen, welche nicht auf LP’s enthalten sind, waren:

Big Leg Emma / Why Don’t You Do Mc Right? (1967, Verve).
My Guitar
/ Dog Breath (1969, Reprise).
Tears Began to Fall
/ Junier Mintz Boogie (1971, Bizarre).

— Ausserdem kann man die Mothers hören, allerdings von Herrn Lennon frisiert, auf: Some Time In N. Y., von John & Yoko (Apple SVBB 3392), und Zappa auf der im Text angegebenen Ponty Platte King Kong. Ja, und weil dieses Heft „Jazz“ heisst, hätte ich eigentlich auch erwähnen sollen, dass anlässlich von Konzerten mit Zappa und den Mothers unter anderen Archie Shepp, Don Cherry und Roland Kirk spontan mitgespielt haben... jetzt hab ich’s. In einer Serie, die das vollständige Werk Zappas erfassen soll, ist ein erstes, sehr fein ausgestattetes Songbuch mit Texten und Partituren erschienen:

THE FRANK ZAPPA SONGBOOK VOL. 1 published by Frank Zappa Music Inc. & Munchkin Music Co., Los Angeles, 1973 (im Vertrieb von „big 3“ — kann im Musiknotenhandel bestellt werden).

Raubpressungen von Motherskonzerten gibt es auch, aber ich will diese nicht anführen, weil Zappa der beste Produzent seiner eigenen Sachen ist, und alles was ihm wichtig scheint, früher oder später sowieso veröffentlicht wird.

An Büchern zum Thema gibt es bis jetzt:

Rolf-Ulrich Kaiser, FRANK ZAPPA - Over het begin en het einde van de progressieve popmuziek (Westfriesland, Hoorn, Holland, 1971)
David Walley, NO COMMERCIAL POTENTIAL - The Saga of Frank Zappa & The Mothers of Invention (Outerbridge + Lazard. New York, 1972)
Alain Dister, FRANK ZAPPA & THE MOTHERS OF IN VENTION (à paraître chez Albin Michel, Paris, 1970

Das Zapparchiv publiziert im Abonnement (oder im Austausch gegen gutes Fotomaterial oder Tonbandaufnahmen) einen bizarren pataphysischen Almanach genannt „Hot Raz Times“ — eine permanente Werkdokumentation an der Peripherie des Projekt/Objekt. Die Adresse (ich hab kein Büro für Fragen die man sich selber beantworten kann): ZARK, Box 2468, CH-8023 Zürich. Now, get a cupa cawfee …

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